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ihrem ersten Wurf von der Hand des Apokalyptikers stammen, der das ganze schrieb[1].

Auch wenn man nach der Abfassungszeit unseres Buches fragt, so tritt wieder eine Uneinheitlichkeit zu Tage. Es scheint eines der gesichertsten Ergebnisse zu sein, daß Kap. 11,1-2 die Erwartung der Erhaltung des Tempels von Jerusalem ausspricht, also vor dessen Zerstörung geschrieben ist. Andrerseits finden sich deutliche Spuren, die auf einen späteren Zeitansatz hinweisen. Damit dem Verlauf der Untersuchung nicht vorgegriffen werde, will ich hier nur auf einen wichtigen Punkt hinweisen. Dem Kap. 17 der Apk liegt eine damals allgemein im Volksglauben verbreitete Erwartung der Wiederkehr Neros mit den Parthern zu Grunde. Das Tier, das mit den zehn Hörnern, den verbündeten Königen, Rom zerstören wird, ist kein andrer als Nero, der eine von den sieben, und jede Erklärung, die das übersieht, bedeutet einen Rückschritt hinter Eichhorn, de Wette. Nun aber ist diese bestimmte Erwartung der Rückkehr Neros mit den Parthern nicht vor dem Ende der Regierung Vespasians nachweisbar, und es ist kaum denkbar, daß dieselbe in der Zeit vom Tode Neros bis zu dem Anfang der Belagerung Jerusalems entstanden sein könnte. So erhalten wir für die beiden Kap. 11 und 17 einen verschiedenen Zeitansatz. — Es wird außerdem weiter unten noch nachgewiesen werden, daß die Apk als ganzes nicht in der neronischen Zeit (vor 70) denkbar ist.

Nicht zu viel Gewicht darf man endlich, wenn man das Recht der Literarkritik erweisen will, auf die vom Seher entworfenen Scenerien seiner Offenbarung legen. Diese können bei einem so verwickelten apokalyptischen Ganzen von vornherein nicht klar und durchsichtig erwartet werden. So scheint in der Scenerie, die Kap. 4 zeichnet, der doppelte Altar (Rauch- und Brandopferaltar), den 8,1ff. voraussetzen, keinen Platz zu finden. Aber schon 6,9ff. ist plötzlich von „dem“ Opferaltar die Rede, unter welchem die Seelen der Märtyrer sich befinden. Noch überraschender kommt die plötzliche Erwähnung des Tempels im Himmel 11,19; an 11,19 schließt sich dann 15,5-8 an. Ganz unmöglich scheint mir jedoch die Annahme nicht zu sein, daß der Apokalyptiker, ohne daß er es gerade erwähnt, die Bilder wechseln, kommen und verschwinden läßt. Ferner wechselt auch der Standpunkt des Sehers, der 4,1 zum Himmel entrückt wird, 10,1 wieder auf der Erde sich


  1. Dabei lasse ich andere Bedenken bei Seite. Die doppelte Christologie, die vor allem Weyland in der Apk gefunden hat: das Lamm, das der Welt Sünde trägt, und der Messias, der zur Vernichtung der Heiden mit eisernem Szepter kommen wird, macht mir keine Schwierigkeit. Diese Doppelstimmung ist sogar psychologisch ungemein interessant. Schon in den Sendschreiben liegen die beiden Gedankenkreise in einander. Das Lamm Gottes (Kap. 5) ist zugleich der Löwe aus Judas Stamm. Auch die echt jüdisch-apokalyptischen Schilderungen des Gerichts, sind nicht notwendig quellenmäßig jüdisch. Von diesen Phantasieen lebte auch die junge christliche Kirche. Über die mehrfach erwähnten προφῆται, die man durchaus für jüdische Propheten halten will, wird unten die Rede sein. Auch die beiden Zeugen brauchen nicht notwendig aus einer jüdischen Apk zu stammen, diese Idee kann vielleicht sogar einen viel älteren Stammbaum aufweisen. Wenn endlich das ἀρνίον einige Male in der Apk wohl sicher eingeschoben ist, so darf man es deshalb noch nicht überall streichen.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Bousset: Die Offenbarung Johannis. Göttingen: , 1906, Seite 124. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Bousset-S124.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)