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vom Judentum übernommen hat. Aber jede neue Überlieferung, die von diesen Schriften entdeckt ist, zeigt, daß ihr Text in einem höchst verwirrten Zustand und in fortwährendem Fluß begriffen war. — Und noch ein zweiter Einwand erhebt sich gegenüber der apokalyptischen Grundschrift wie sie Vlt. aus den Kap. 4-11; 14; 19 rekonstruiert. Da hier alle eigentlich charakteristischen Stücke entfernt und den Überarbeitern zugewiesen sind, fragt man sich verwundert, was denn dieser nun noch übrigbleibende apokalyptische Torso, dieser dürre Mechanismus eigentlich jemals für einen Zweck und inneren Sinn gehabt hat. Die angenommene Grundschrift macht zwar den Eindruck der Einheitlichkeit; aber um den Preis, daß alles Charakteristische und Lebendige ausgeschieden ist.

Auf dem Wege zur rechten Anschauung, die im folgenden behandelt werden soll, befindet sich bereits in seinem neuerdings erschienenen Werk J. Weiß. Für ihn ist im Gegensatz zu den bisher genannten Forschern der Endredaktor der Apk keine Strohfigur mehr, die nur mit der Redaktionsschere arbeitet, oder ein gleichgültiger letzter Bearbeiter, der abgesehen etwa von der Hinzufügung der Sendschreiben das Übrige stehen ließ, wie es stand, — sondern eine greifbare Persönlichkeit, die mit bestimmten Absichten und Tendenzen in einer ganz bestimmten Situation unser Buch schrieb resp. herausgab und deshalb an einer Reihe von Stellen so gewaltsam in die Darstellung seiner Quellen eingegriffen hat, daß Weiß vielfach auf eine genaue Rekonstruktion gänzlich verzichtet. — Auf der andern Seite legt Weiß allen Wert darauf, den Endredaktor der Apk von dem Verfasser der Sendschreiben, dem christlichen Urapokalyptiker zu trennen. An diesem Punkt schließt er sich — während er sonst weit von ihm abweicht — mit Sp. zusammen und ist der Meinung, daß hier in dieser Unterscheidung und in der Zuweisung der Sendschreiben zur christlichen Urapokalypse das Hauptverdienst Sp.s liege. Wenn ich recht sehe, liegt hier für beide Forscher der Angelpunkt ihrer Auffassung. Sie können sich nicht denken, daß ein Mann, der auf der literarischen und religiösen Höhe der Sendschreiben steht, zugleich der Verfasser des ganzen Buches mit seinen bizarren Weissagungen, mit seinem oft so wenig spezifisch christlichen Inhalt sei. Ich gestehe zu, daß hier in der Tat eine Schwierigkeit vorliegt. Der Schriftsteller, der in den Briefen mit dieser grandiosen Einfachheit redet, soll zugleich der Schöpfer einer schwierigen und zum mindesten ungemein komplizierten, wenn nicht verworrenen, Buch-Komposition sein; der Prophet, der so mächtig sprechen kann, soll zugleich ein apokalyptischer Literat sein, der eine Menge von übernommenem Stoff — das ist das mindeste, was wir zugeben müssen — einfach weitergibt. Was uns hier aufgegeben wird, ist in der Tat ein schweres psychologisches Rätsel. Aber es fragt sich doch, ob wir nicht gut tun werden, das Rätsel stehen zu lassen und in der Seele des Apokalyptikers zu suchen, anstatt es durch Quellenscheidung zu beseitigen. Ganz und gar liegen denn doch der Endredaktor der Apk und der Verfasser der Sendschreiben nicht aus einander. Denn auf der einen Seite sind auch die Briefe durch ihre Schlußwendungen: wer Ohren hat, höre, was der Geist der Gemeinden sagt, mit dem vorliegenden Ganzen der Apk auf das engste verkoppelt, und Spitta wie Weiß müssen zu dem gewagten Experiment schreiten, die sämtlichen Schlußwendungen dem Verfasser der Sendschreiben abzusprechen (s. Genaueres darüber im Kommentar zu Kap. 1-3). Andrerseits ist der „Redaktor“, wie Weiß wenigstens zugesteht, doch ein geistesmächtiger Schriftsteller, der seiner Zeit etwas Großes zu sagen hat und der dem von ihm übernommenen apokalyptischen Material den Stempel seines Geistes aufgedrückt hat. — Das stärkste Bedenken gegen die Konstruktion einer christlichen Urapokalypse ist dieses, daß durch sie nicht erreicht wird, was doch erreicht werden soll: die Herausschälung einer christlichen Schrift, die in ihrer Einfachheit und Grandiosität dem Geist des Verfassers der Sendschreiben ebenbürtig wäre. Sp.s von allen fremden Zutaten gereinigte Urapokalypse

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Bousset: Die Offenbarung Johannis. Göttingen: , 1906, Seite 127. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Bousset-S127.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)