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ist wirklich zu dürftig und nichtssagend, als daß sie überzeugend wirken könnte. Was bei ihm auf den Eingang Kap. 1-5 als Weissagung folgt, das nimmt sich wie ein dürftiges Notdach auf einem gewaltigen Unterbau aus. Weiß hat diesen Mangel empfunden und sucht ihm abzuhelfen, indem er dem christlichen Apok. noch eine Reihe weiterer Stücke zuschreibt. Ich finde aber nicht, daß seine Rekonstruktion sehr einleuchtend ist. Was er hinter Kap. 6 dem christlichen Urapokalyptiker zuschreibt (die Grundlage von Kap. 7; 9; 12,7-12, die Grundlage von 13,11-18; 14,14-20; 20,1-15; 21,1-4; 22,3-5, die Grundlage von 22,8ff.), sind wirklich disjecta membra. Für im höchsten Grade unwahrscheinlich halte ich die Verteilung von Kap. 12 auf zwei Quellen. Wenig überzeugend wirkt es, daß nach der Einführung des Drachen und des Pseudopropheten als der gewaltigsten Feinde der Endzeit, das durch den Menschensohn vollzogene Endgericht 14,14ff. auf diese Gegner gar keine Rücksicht nimmt, die Fesselung des Drachen durch einen Engel nur so nebenher berichtet wird, der Pseudoprophet ganz verschwindet. — Weiß nimmt an, daß in Kap. 14,14ff. in der Urapokalypse das Endgericht vorliege und rechnet es zu den zweifellosesten (!) Ergebnissen der Kritik, daß die große Szene des Endgerichts 19,11ff. nicht von einem Christen konzipiert sein könne. Aber sind etwa 14,19f. dem christlichen Geist angemessener? Und wenn W. sich damit tröstet, daß hier der christliche Apok. von jüdischer Apokalyptik abhängig sei, warum soll dieser Gesichtspunkt nicht auf 19,11ff. angewandt werden? Mir will dagegen scheinen, daß in 19,11ff. — künstlerisch betrachtet — die einzige würdige Krönung des ganzen apokalyptischen Unterbaues vorliegt und daß Kap. 14 sich als Abschluß der von W. konstruierten Apk dürftig ausnimmt. — Da somit die Versuche der Rekonstruktion einer überzeugenden christlichen Urapokalypse als gescheitert zu betrachten sind, so wird eben doch kaum etwas andres überbleiben als den Verfasser der Sendschreiben und den Schriftsteller, der die Apk in der gegenwärtigen Form schrieb, zu identifizieren, und bei genauerem Zusehen dürfte sich doch dieser Apok. letzter Hand als eine Persönlichkeit herausstellen, der auch die Abfassung der Sendschreiben zuzutrauen ist.

Mit seiner Theorie von der christlichen Urapokalypse verbindet W. die Annahme, daß mit dieser in unserer Apk eine jüdische Quellenschrift (Q) verbunden ist, die wahrscheinlich im Jahre 70 verfaßt wurde. Wichtiger als diese Annahme W.s ist mir seine Erkenntnis, daß diese Quelle wiederum aus einer Reihe einzelner Fragmente, deren Zusammengehörigkeit zweifelhaft ist, zusammengearbeitet wurde, bevor sie in die Hand des Endredaktors kamen. Was an diesen Vermutungen richtig ist, ist diese letztere Erkenntnis. Dagegen ist die Gestalt des Verfassers von Q. bei W. sehr unwahrscheinlich, zum mindesten in keiner Weise erwiesen. Ich glaube wir dürfen von dieser letzteren Vermutung W.s absehen. Wenn wir das tun, und wenn wir den christlichen Urapokalyptiker mit dem Apok. letzter Hand identifizieren, so kommen wir zu der letzten und meines Erachtens zum Ziele führenden Betrachtungsweise der Apk[1].

Und damit sind wir nun auf den noch übrig bleibenden dritten Weg gelangt, der uns vielleicht zum Ziel führen wird. Derselbe ist von Weizsäcker, Sabatier und Schön, neuerdings auch von Pfleiderer, Jülicher u. a. (s. o. S. 110. 112), den Vertretern der Fragmentenhypothese, eingeschlagen. Wzs. schon hat mit sicherem Blick die Eigentümlichkeit der


  1. Ich erwähne nur noch, daß für mich auch der Gesichtspunkt W.s wenig Überzeugendes hat, daß der Apok. letzter Hand sich als Deuter und Herausgeber einer älteren Weissagung erweise, die er schon in seiner Zeit sich erfüllen sehe, daß daher die eigentlichen Zukunftsweissagungen der oder den Quellen zuzuweisen seien, während da, wo die Erfüllung der Weissagungen in der Gegenwart geschaut werde, im Durchschnitt der Herausgeber rede. Gerade der Apok. letzter Hand weissagt eine freilich für ihn nahe Zukunft. W. gewinnt seine Thesen durch eine Betrachtung von Kap. 17, derzufolge der Apok. letzter Hand in dem achten Haupt oder dem wiederkehrenden Tier Domitian gesehen habe. Ich halte diese Deutung für falsch (s. die Ausführung am Schluß des 17. Kap.).
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Wilhelm Bousset: Die Offenbarung Johannis. Göttingen: , 1906, Seite 128. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Bousset-S128.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)