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auf den Charakter des Ganzen sehen und nicht an Einzelnem hängen bleiben; unser Gebäude muß so festgestützt sein, daß es nicht schadet, wenn nachher eine oder zwei Stützen wieder weggenommen werden müßten. Jedenfalls haben wir den Vorteil, daß wir zunächst von dem gegebenen Ganzen der Apk ausgehen und nicht von postulierten Quellen und so vom Sichern zum Unsichern uns vorsichtig den Weg bahnen können.

Das Hauptcharakteristikum der Apk ist sicherlich die durch das ganze Buch sich hindurchziehende hochgradige Spannung zwischen der Ecclesia, der einheitlichen Organisation der Gläubigen, und ihrem Gegner, dem römischen Staat. Denn daran dürfte kein Zweifel mehr sein, daß mit dem großen Feind des Christentums, dem Tiere, der römische Staat und mit der Hure auf dem Tiere das heidnische Rom gemeint sei. Und zwar ist dieser Gegner der Hauptgegner des Christentums, hinter dem alle anderen zurücktreten[1], so gewiß als Kap. 12 und 13, die Schilderung vom Erscheinen des Drachen (des Herrn des Tieres) und des Tiere selbst, den Höhepunkt der apokalyptischen Vision bilden. Dieser Kampf mit dem Tiere füllt für den Apokalyptiker Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Die Vergangenheit: der Apok. schaut bereits eine Schar vollendeter Märtyrer (6,9) unter Gottes Thron. Die Hure Babel ist trunken vom Blut der Märtyrer Jesu 17,6 (vgl. 16,6). In ihr schreit das Blut der Propheten und Heiligen und aller der auf Erden Geschlachteten 18,24. Die Gegenwart: Auch der Apok. lebt in einer Verfolgungszeit. Zwar scheint die Verfolgung in seiner nächsten Umgebung zu einem vollem Martyrium nur selten geführt zu haben. Nur ein Märtyrer, Antipas, wird namentlich genannt 2,13. Aber Verfolgungen und Chikanierungen der christlichen Gemeinden sind an der Tagesordnung und nicht nur in Pergamon nachweisbar (Ephesus 2,3, Smyrna 2,9.10, Philadelphia 3,8). Wenn jedes der Sendschreiben mit dem Lobpreis des „Siegers“ schließt, so denkt der Verfasser in erster Linie an den äußeren Kampf, den die christlichen Gemeinden zu bestehen haben. Vor allem aber soll der Kampf in der nächsten Zukunft des Apok. entbrennen. Das ist der Punkt, auf den seine ganze Weissagung eingestellt ist. Schon in dem Sendschreiben an Philadelphia 3,10 redet er von einer großen Versuchung (πειρασμός), die über die ganze Welt kommen und von der Philadelphia bewahrt werden soll. Die Weissagung des fünften Siegels 6,9-11 geht auf diese letzte Zeit der großen Not, in ihr soll sich die „Zahl“ der Märtyrer, die Gott in seinem unerforschlichen Ratschluß festgesetzt hat, vollenden, und dann soll das Ende kommen. Wieder und wieder weist er auf die Blutzeugen in diesem Kampfe hin. Er sieht schon die ungeheure Schar der Weißgekleideten, die aus der „großen Trübsal“ kommen, vor Gottes


  1. Man irrte da am meisten vom rechten Verständnis der Apk ab, als man meinte, daß der Mittelpunkt der Apk eine Weissagung gegen Jerusalem sei, dieses Zentrum in Kap. 11 fand, ja sogar Babel für Jerusalem erklärte. Aber auch die Forscher irren noch, welche wie Alcasar und Grotius, neuerdings Lücke, Düsterdieck u. a. annehmen, daß das Interesse des Apok. zwischen Jerusalem und Rom geteilt sei. An Kap. 11,1-2 muß man vorübergehen, wenn man den Herzpunkt der Apk sucht.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Bousset: Die Offenbarung Johannis. Göttingen: , 1906, Seite 130. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Bousset-S130.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)