Seite:Bousset-S135.png

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

mit voller Sicherheit festlegen. Aber wahrscheinlich ist es doch, daß jene Umwandelung der Nerosage erst in einer Zeit vor sich ging, als die Erwartung von der Wiederkunft Neros mit den Parthern eine gewisse Zeit – sagen wir einmal etwa ein Menschenalter – die Gemüter beschäftigt, geschreckt und enttäuscht hatte und so allmählich unwahrscheinlich geworden war. Damit aber kämen wir wieder an das Ende der Regierungszeit Domitians[1] (vgl. den Exkurs zu Kap. 17).

Wir können aber vielleicht die Zeit der Abfassung der Apk. bis aufs Jahr genau festlegen. In der Apk hört der Seher beim dritten Siegel eine die allgemeine Hungersnot weissagende Stimme: Das Maß Weizen um einen Denar, und drei Maß Gerste für einen Denar, aber Öl und Wein sollst du schonen! 6,6. Bisher hat kein Ausleger diesem Rätselruf einen Sinn abgewinnen können. Neuerdings hat Reinach[2] über diese Stellen in außerordentlich geistvoller Weise gehandelt. Er zieht zur Erklärung eine Notiz Suetons (Domitian, Kap. 7) heran. Hier berichtet Sueton im Jahre 92 (vgl. auch Eusebius Chronik zu diesem Jahr), daß Domitian – im Interesse der italienischen Weinagrarier – ein Edikt erlassen habe, demzufolge die Anlage neuer Weinberge in Italien verboten wurde, in den Provinzen aber die Weinberge bis mindestens zur Hälfte niedergehauen werden sollten. Von dieser Maßregel fühlten sich namentlich die kleinasiatischen Provinzen bedroht. Eine lebhafte Gegenagitation erhob sich, und man setzte es wirklich durch, daß das Edikt, noch ehe seine Ausführung begonnen, wieder aufgehoben wurde. Es wird nun sehr wahrscheinlich, daß der Apok. auf diese Vorgänge mit seiner Weissagung hindeutet. Er ist entrüstet, daß jene Maßregel, die er von seinem asketischen Standpunkt aus als gut und heilsam betrachtet (gibt doch auch das Edikt sich als wesentlich gegen den Luxus gerichtet) wieder aufgehoben ist. Daher weissagt er nun eine große Teuerung, durch welche die notwendigsten Lebensmittel betroffen werden, während die Luxusartikel wie zum Hohn verschont bleiben sollen. Ist diese Kombination richtig, so wäre die Apk bald nach 92, also ca. 93, geschrieben. Mit diesem Ansatz würde es nun merkwürdig gut stimmen, wenn in der oben S. 23 bereits besprochenen Ausführung aus der Polemik des Epiphanius gegen die Aloger (Haer. LI 33) ursprünglich gestanden hätte, daß von der Geburt des Herrn bis zur Apk 93 Jahre verflossen seien. Die Ausführungen stammen aus Hippolyt und es wäre ja möglich, daß Hippolyt das genaue Datum der Schrift noch gekannt hätte. Auch das mag noch hervorgehoben werden, daß Eusebius in seiner


  1. Die Bestimmung ist approximativ gemeint. Die Sage kann schließlich schon viel früher entstanden sein. Es ist ein einfacher Aberglaube, wenn Zahn (vgl. den Exkurs zu Kap. 17) auf Grund einiger sibyllinischer, zeitlich schwer bestimmbarer Fragmente glaubt, die Geschichte der Nerosage so genau rekonstruieren zu können, daß auf Grund dessen sich der Beweis ergäbe, unser Apok. hätte die Sage in dieser Form noch nicht kennen können. Wenn Z. meint, die Sage hätte erst in dieser Form auftauchen können, als seit Neros Verschwinden eine so lange Zeit verstrichen war, daß an eine Wiederkunft des lebenden Nero nicht mehr gedacht werden konnte, so ist dagegen zu erinnern, daß die Volkssage nicht so rationalistisch arbeitet.
  2. S. Reinach, La mévente des vins sous le haut-empire romain. Rev. archéologique. Série III. Tom. 39 1901. Nov. Dec. 350-374; vgl. A. Harnack, Th. Lz. 1902 591f.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Bousset: Die Offenbarung Johannis. Göttingen: , 1906, Seite 135. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Bousset-S135.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)