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Von der Weissagung des Parakleten im Johannesevangelium und von der Hochschätzung des Propehtentums[1] in der Offenbarung aus, begreift es sich, wie ein gutes Menschenalter später eine Geistesströmung wie die des Montanismus sich in der kleinasiatischen Kirche erheben konnte.

Mit jenem großartigen und wahrhaft prophetischen Blick in die Zukunft verbindet sich bei dem Apok. ein bizarrer und phantastischer Volksglaube, der damals in der jüdischen wie in der heidnischen Welt lebendig war. Der Glaube an die Wiederkunft des verrufenen Tyrannen (und ersten Christenmörders)Neros[2]. Das Tier, das den großen Kampf mit dem Christentum beginnen wird, hat als Symbol neben den zehn Hörnern das Haupt, dessen Todeswunde geheilt ist. Es ist das römische Imperium zur Zeit des Nero redivivus und daher ist die Zahl des Tieres die Zahl eines Menschen (13,18). In dem Nero redivivus wird sich die ganze Furchtbarkeit und die grausame Macht des Tieres noch einmal zusammenfassen[3]. „Es war und ist nicht mehr und wird sein“: Schon einmal haben die Christen mit diesem Nero den Kampf auf Leben und Tod gekämpft, und bald wird er aus der Abyssus wiederkehren zu einer kurzen Zeit der Schreckensherrschaft und der allgemeinen Verfolgung. Es ist wohl zu bemerken, daß bei dieser Auffassung der Zukunftscharakter der Apk gewahrt bleibt, die Apk weissagt wirklich von einer großer allgemeinen Verfolgung und stellt diese dem Volksglauben folgend in Zusammenhang mit der Wiederkunft Neros. Diese Verbindung von einem tiefen Einblick in das Wesen und Ziel der Dinge mit einer vergänglichen fremdartigen Phantasie des Volksglaubens mag uns merkwürdig erscheinen, aber psychologisch unverständlich ist sie nicht.

Es ist schwer zu einem Gesamturteil darüber zu kommen, wie weit der Seher als Judenchrist bezeichnet werden darf. Daß derselbe aus dem Judentum stammt, ist nach den Beobachtungen, die man über seine Sprache machen kann, wohl außer allem Zweifel. Ihm ist der Judenname ein Ehrenname, welchen er den christenverfolgenden Juden abspricht 2,9; 3,9. Einem Judenchristen im eigentlichen Sinne des Wortes wird man ihn doch kaum nennen können. Von einem antipaulinischen starren Judenchristentum kann bei ihm nicht die Rede sein. Die Heidenmission ist als etwas ganz Selbstverständliches


  1. Neben die Propheten treten bereits eine besondere Rangklasse unter den Christen einnehmend die Märtyrer. Ihrem Lobpreis gilt der Abschnitt 7,9-17, ihr Siegesgesang wird 15,2-4 geschildert, sie allein nehmen an dem tausendjährigen Reich teil. Und in dem Bunde die dritten, treten die Asketen auf. 14,4 deutet der Apokalyptiker die 7,4 erwähnten 144000 auf die παρθένοι um. Auch sie nehmen eine besondere Würdestellung bei dem Lamm ein. Propheten, Märtyrer, Asketen, diese neuen Rangklassen unter den Gläubigen sind charakteristisch für die Apk.
  2. Alles Genauere über die Nerosage siehe zu den Ausführungen bei Kap. 13 und Kap. 17. Am letzten Ort wird noch über den Glauben an die Wiederkehr Neros von den Parthern gehandelt werden, den der Apokalyptiker selbst nicht mehr teilt.
  3. Die Deutung von 13,18 und 17,3ff. auf Nero scheint mir auch jetzt noch über allen Zweifel erhaben (vgl. den Kommentar).
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Bousset: Die Offenbarung Johannis. Göttingen: , 1906, Seite 139. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Bousset-S139.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)