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anerkannt (7,9ff.), die Juden sind die Synagoge des Satans. Möglich aber, daß der Apokalyptiker an einer gewissen Prärogative des gläubigen Israels (7,1-8) festhält. Aber es läßt sich hier sehr schwer zwischen der überkommenen Tradition und der eignen Meinung des Sehers scheiden. Die Stellung der Apk gegen den römischen Staat, Rom und den Kaiserkultus ist zwar, wenn man auf die apokalyptische Stimmung der Kirche in der Folgezeit sieht, singulär, aber doch nicht notwendig judenchristlich.

Damit ist die Hauptsache zur Gesamtcharakteristik des Apok. gesagt. Neue, bemerkenswerte ethische oder religiöse Gedanken dürfen wir nicht bei ihm suchen. Der Apokalyptiker arbeitet ja im wesentlichen nur auf das Eine hin, die Gläubigen stark und tapfer zu machen in dem bevorstehenden mächtigen und großen Kampf. (In den Briefen nimmt er außerdem eine Frontstellung gegen die Häretiker ein.) In der Christologie und Erlösungslehre zeigen sich nirgends Ansätze zu selbständiger Auffassung, in der Christologie ein wirres Konglomerat verschiedenster Vorstellungen. Es ist daher unbegreiflich, wie man eine mehrhundertseitige Theologie der Apk schreiben mag (vgl. das Werk von Gebhardt 1873). Wer hier zu viel bringt, bringt für den Zweck einer lebendigen historischen Erkenntnis gar nichts. — Aber jenes eine weiß der Apokalyptiker mit unnachahmlicher Sicherheit einzuschärfen: den gewaltigen Ernst der Verantwortung vor Gottes Gericht, den Gedanken des nahen Endes, die Pflicht der Treue bis zum Tode und des Ausharrens im wilden Kampf, der nun entbrennen soll. Eine trotzige Siegeszuversicht gegenüber dem Drachen, der schon im Himmel geworfen ist, und dessen Herrschaft auf Erden nur kurze Zeit dauern wird, eine fast wilde Freude am Martyrium: Selig sind von nun an die Toten, die im Herrn sterben, — eine wenigstens stellenweise flammende Sprache, eine glühende Sehnsucht nach dem Ende und der neuen Zeit: Wahrlich ich komme bald. Amen, komm Herr Jesus, — das alles verleiht der Apk trotz des Bizarren, Phantastischen, Fanatischen, das sich in Hülle und Fülle findet, einen zauberhaften Reiz und eine mächtige Kraft. — Von unvergleichlicher Schöne und Zartheit sind jedenfalls eine Reihe von Bildern, in denen der Seher die zukünftige Welt malt. Man muß diese Worte (wie 7,9ff.; 20,1ff.) einmal am Grabe, oder am Totenfeste gehört haben, um ihren unvergänglichen Zauber zu verstehen. Sie klingen noch immer wie überirdische Musik. — So mußte die Apk auf ihre Zeit wirken wie ein wildes flammendes Kriegsmanifest, sie mußte den Zeitgenossen in der Tat wie eine neue prophetische Offenbarung erscheinen: Selig der es liest und das Geschriebene bewahrt! Sie war eine helle Posaune, die zu mehrhundertjährigem Kampfe rief.

VI. Die Hauptaufgabe, die einer Erklärung der Apokalypse gestellt ist, ist — vorausgesetzt, daß unsere Auffassung von dem Ganzen der Schrift die richtige ist — damit erfüllt, daß eine lebendige Vorstellung von dem Charakter des Apokalyptikers selbst, seiner Frömmigkeit und der Situation, in der er schreibt, möglichst annähernd erreicht ist. Aber daneben schafft nun freilich der Schreiber der Apk in einem großen Teil seiner Schrift, wie bereits deutlich geworden ist, nicht aus freier Hand und mit eignen Mitteln; es

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Bousset: Die Offenbarung Johannis. Göttingen: , 1906, Seite 140. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Bousset-S140.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)