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scheint fast so, als hätte er die Absicht, nicht bloß eine bestimmte Weissagung zu geben, sondern ein corpus apocalypticum zu schreiben, eine Sammlung von damals im Umlauf befindlichem apokalyptischem Material unter einem einheitlichen Gesichtspunkt zu veranstalten. Daher besteht die zweite Aufgabe in der genaueren Erforschung der Quellen des Apokalyptikers. Freilich wird es immer wichtiger bleiben — es wird dieser Gesichtspunkt gar zu oft übersehen — festzustellen, was der Apokalyptiker selbst aus seinem Stoff gemacht hat, als in dem Dunkel der hinter ihm liegenden apokalyptischen Tradition einige unsichere Schritte zu tun. — Aber auch diese Arbeit muß getan werden, und zwar schon deshalb, weil eine genauere Erforschung der Quellen und der der Apk vorliegenden Tradition indirekt wieder einen klareren Einblick gerade in das Eigentümliche und Charakteristische dieser selbst gibt. Jede Apokalypse hat man in dem Augenblick erst recht verstanden, in dem es gelingt, das ihr überkommene Material von dem ihr eigentümlichen mit einiger Sicherheit abzusondern.

Über die Quellen der Apk wird nun im besonderen im Kommentar zu den einzelnen charakteristischen Kapiteln gehandelt werden (vgl. namentlich die Bemerkungen zu 7,1-8; 11,1-13; 12; 13,11ff.; 14,14-20; 17-18; 21,9-22,5)[1]. Hier sollen nur einige Bemerkungen allgemeinerer Art folgen. Zunächst werden wir, von der richtigen Erkenntnis des Gesamtcharakters der Schrift herkommend, nicht in den Fehler einer voreiligen Quellenscheidung verfallen. Wir werden uns darauf beschränken, mit einiger Bestimmtheit an diesem und jenem Punkt zu behaupten, daß dem Apokalyptiker fremdes Material eventuell schon in literarisch fixierter Form vorgelegen habe, aber auf den Versuch, noch zusammenhängende Quellen, die wirklich einmal so existiert haben, auszuscheiden, werden wir im großen und ganzen verzichten. Andrerseits ist man, wenn man so rundweg auf Literarkritik im Einzelnen — immer im großen und ganzen geredet — verzichtet, doch noch keineswegs am Ende der Forschung. Es gibt noch einen Weg, der uns etwas weiter zu fördern verspricht. Der literarkritischen Methode zur Seite tritt nun die traditionsgeschichtliche. Die Hoffnung auf eine genaue Bestimmung der Quellen nach Zahl, Umfang und Wortlaut werden wir nach den bisher gemachten Erfahrungen aufgeben müssen. Aber dennoch können wir das in der Tradition — ganz gleich durch welche Mittelglieder — überkommene Material genauer auf seine Herkunft prüfen und kritisch sondern. Dabei werden wir freilich, wenn wir irgendwie vorwärts kommen wollen, unsern Blick über die gesamte eschatologische Überlieferung der der Apk vorangehenden und folgenden Jahrhunderte erweitern müssen. Denn wir sind hier auf den überaus unsicheren und schwankenden Boden derjenigen Vorstellungen und Phantasien geraten, welche von Religion zu Religion, von Geschlecht zu Geschlecht wandern, und deren Lebenskraft nicht mit dem Jahrhundert, dem Volk und der Religion erlischt, in welchen sie zuerst entstanden sind. Nur ein umfassendes


  1. Vgl. auch noch die Erörterungen zu Kap. 1-6 (Spittas Quelle U) und Kap. 13 (Caligulahypothese).
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Bousset: Die Offenbarung Johannis. Göttingen: , 1906, Seite 141. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Bousset-S141.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)