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ἄγγελος der Gemeinde diese selbst sei (also der personifizierte Gemeindegeist). Dagegen spräche, daß dann ein Symbol, die Sterne, auf ein anderes Symbol, die Engel, gedeutet wäre. Will man aber die Engel als Realitäten auffassen, so kommt man 5) zu der jüdischen Auffassung von Schutzengeln[1] (Vlkm., Hilgf., Hltzm., Weyl.[2] [vgl. den ἄγγελος ἔφορος bei den Rabbinen Wtst.]). Diese Erklärung hat schon deshalb am meisten für sich, weil sie es ermöglicht, bei dem doch wahrscheinlich ursprünglichen Sinn der Sterne (= Geister, Engel) vollständig stehen zu bleiben. Der Apok. hätte dann die Vorstellung, daß der Menschensohn Herr der sieben (großen) Geister ist, hier der gegenwärtigen Situation so angepaßt, daß er ihn als Herrn der sieben über die einzelnen Gemeinden herrschenden Engelfürsten resp. der Genien der Gemeinden auffaßt. Nimmt man an, daß hier eine ziemlich mühselige Umdeutung einer älteren Vorstellung vorliegt, dann erklärt sich auch manches Sonderbare in der Vorstellung, und fällt mancher Einwurf gegen diese Erklärung. Denn merkwürdig bleibt immerhin die Vorstellung, daß der Seher den Engeln der Gemeinden zu schreiben Befehl bekommt, die doch eines Briefes kaum bedürfen; offen bleibt die Frage, weshalb diese Mittelspersonen, die Engel, überhaupt hier erwähnt werden, zumal die Briefe sich doch ihrem Gehalt nach direkt an die Gemeinden wenden. Man kann wenigstens nicht mit Hltzm. sagen, in den Briefen rede der erhöhte Christus, und zwischen ihm und den Gemeinden seien solche Mittelspersonen notwendig. Denn der Erhöhte redet ja zu dem Seher, und dieser überbringt ja bereits als Mittelsperson den Gemeinden die Botschaft desselben. — Eher kann man darauf hinweisen, daß wie der Schutzengel eines Menschen oft als sein himmlischer Doppelgänger gedacht ist (Akt 12,15), so hier der Engel der Gemeinde nicht viel andres sein solle als die Gemeinde selbst. Dann kämen wir der Erklärung 4 wieder sehr nahe. — Aber diese Schwierigkeiten lösen sich, wenn man bedenkt, daß der Apok. in 1,20 ein μυστήριον kunstvoll deuten will, und daß es ihm dabei auf die innere Logik der Dinge nicht allzu genau ankommt.

Wir blicken zum Schluß noch einmal auf die ganze Vision zurück. Sie ist aus Einzelzügen alttestamentlicher Visionen zusammengewoben: Dan 7; 10; Ez 1 (Sach 4). Dazu gesellen sich einzelne neue Züge, die sieben Sterne in der Hand des Menschengestaltigen, die sieben Leuchter, unter denen er wandelt, vor allem die Schilderung des Menschengestaltigen, als des Gestorbenen und Lebendigen, des Herren über Tod und Hades. Im ganzen ist das Bild geschickt und einheitlich gezeichnet. Greßmann (israelitisch-jüdische Eschatologie 347) hat gut beobachtet, daß, während bei Dan 10 die beiden Vorstellungen einer nackten Gottheit mit einem Lichtleibe und der in ein Lichtgewand gehüllten


  1. Vgl. über die Idee der Schutzengel und deren Verbreitung in der spätjüdischen und anderen Religionen Bousset, Rel. d. Judentums, 317f.
  2. Schutzengel finden hier bereits Orig. Hom. 12 u. 13 in Luc.; de orat 11; Hieronym. zu Mt 18,10 (Vallarsi VII 139f); Andreas zu 1,20 (p. 8; unter unklarer Berufung auf Irenäus). Zahn II 611.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Bousset: Die Offenbarung Johannis. Göttingen: , 1906, Seite 201. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Bousset-S201.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)