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war jedenfalls bei Verfolgungen, bei denen es sich um Gefängnis und Tod handelt, beteiligt. Und auch späterhin noch hetzten die Juden, wie man aus dem Martyrium des Polykarp sieht, die heidnischen Behörden gegen die Christen auf. Nun geben allerdings diese Daten einen sehr unsicheren Anhalt für die Datierung der Briefe. Wir kennen ja nur ganz geringe Fragmente aus der Geschichte der Stellungnahme des römischen Imperiums zum Christentum im ersten Jahrhundert. Es ist allerdings möglich, daß vereinzelte Verfolgungen, denen auch die Obrigkeit ihren Beistand lieh, in jedem Dezennium vorgekommen sein mögen, aber die Sendschreiben spiegeln uns doch eine Lage der Gemeinden wieder, in der die Verfolgungen epidemisch zu werden drohen. Man hat sich darauf berufen, daß auch Paulus bereits Verfolgungen erdulden mußte. Aber man vergleiche doch einmal mit den kurzen Schilderungen der Sendschreiben die Gesamthaltung der paulinischen Briefe in dieser Hinsicht, dann begreift man den Unterschied in der Situation. Hier in den Sendschreiben tritt der Kampf mit der Außenwelt, die von dort kommende Not und Gefahr, vollkommen in den Vordergrund. Der Verfasser der Sendschreiben erwartet überdies eine Zeit der Not, wahrscheinlich der Verfolgung, die über den ganzen Erdkreis hin die Gläubigen treffen soll. Das alles weist in eine spätere Zeit und doch wohl über die Zeit der neronischen Christenverfolgung, die auf Rom beschränkt geblieben zu sein scheint, hinaus. Wenn endlich in den Briefen nicht — wie in den übrigen Teilen der Apokalypse — hervorgehoben wird, daß es sich bei den Verfolgungen um den Cäsarenkultus handle (doch vgl. das zu 3,10 Bemerkte), so mag es auf Zufall beruhen, daß der Apok. hier von der allen bekannten Tatsache nicht ausdrücklich redet.

In Ephesus, Pergamon, Thyatira wird das Treiben von Irrlehrern geschildert, und zwar scheint uns überall dieselbe Erscheinung entgegenzutreten. Denn wahrscheinlich sind die falschen Apostel 2,2 identisch mit den Nicolaiten 2,6, diese wiederum sicher mit den Bileamiten (2,14f.), und da der Prophetin Isabel von Thyatira dasselbe wie den Bileamiten (φαγεῖν εἰδωλόθυτα – πορνεύειν) vorgeworfen wird, so ist an allen drei Stellen dieselbe Art von Häretikern gemeint. Es handelte sich aber bei diesen Irrlehrern sicher noch nicht um eine ausgebildete gnostische Schule, die wir unter den bekannten gnostischen Schulen zu suchen hätten, sondern um weltförmiges libertinistisches Christentum, um praktische Fragen und nicht um Spekulation. Die Teilnahme oder Nichtteilnahme an den Götzenopfermahlzeiten ist deshalb eine so brennende Frage im ersten Christentum geworden, weil die Entscheidung über sie die Stellungnahme zum heidnischen Gesellschaftsleben bedingte, das sich ja ganz wesentlich an die gemeinsamen Mahlzeiten anschloß. Viele, die sich sonst zum Christentum hingezogen fühlten, waren nicht im stande, diesen energischen Bruch mit der Außenwelt zu vollziehen. Dasselbe gilt von dem πορνεύειν; es ist sicher mit diesem Vorwurf nicht gemeint, daß die Irrlehrer eine besondre orgiastische Unsittlichkeit trieben, wie diese bei späteren gnostischen Schulen vorkommt. Auch hier wird es sich wesentlich um ein Mitmachen mit der Sitte und dem Urteil der heidnischen Gesellschaft auf der einen Seite,

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Wilhelm Bousset: Die Offenbarung Johannis. Göttingen: , 1906, Seite 237. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Bousset-S237.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)