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(Sacharja) nachweisen ließen. Dennoch ist daraus ein neues geworden, namentlich durch die kühne Kombination der Attribute eines erscheinenden Engels mit den Attributen Gottes selbst (nach Dan 7,9) zur Charakteristik des Menschensohnes. Auch sonst benutzt er in ziemlichem Umfang das alte Testament, aber immer nur lose anspielend (1,7.8; 2,7.26.27; 3,5.7.9.12.14.17.19). Aus 2,27 läßt sich mit Sicherheit schließen, daß er die LXX gebrauchte. Ob er auch den hebräischen Text benutzte, ist nicht ganz sicher (vgl. zu 1,6.7 und 3,14). Mit rabbinischer Theologie und Haggada zeigt er sich vertraut (1,4; 2,14).

Auch die Christologie der Briefe zeigt in vielen Punkten noch die realistischen und kräftigen Züge der jüdisch-messianischen Gedankenwelt. Christus ist der Oberste der Könige der Erde 1,5. In der Gestalt des Menschensohnes mit den Feueraugen und Erzfüßen, der Donnerstimme und dem Schwert im Munde, als der Besitzer der Schlüssel Davids zum Öffnen und Schließen des Gottesreiches tritt er auf. Daneben ist er der wahrhaftige Zeuge, der wahre Künder aller Offenbarung Gottes, der durch sein Blut die Seinen erkauft hat, der tot war und lebt und Macht hat über Tod und Hölle, der Sohn Gottes (2,18; nur hier in der Apk), der mit dem Vater auf dem Thron sitzt (3,21, vgl. 2,27; 3,5). Ja noch mehr, er ist der Erstgeborene von den Toten, der Anfang aller Schöpfung und (das geht über die Theologie des Paulus hinaus) der Erste und Letzte, der Lebendige 1,17f. Er tritt in der Vision dem Seher mit den Attributen Gott Vaters bei Daniel entgegen. Die Christologie der Briefe ist allerdings, nach dieser Seite betrachtet, die scheinbar fortgeschrittenste fast im ganzen neuen Testament. Dennoch wird sich hieraus eine Zeitbestimmung für diese Kapitel nicht ergeben (gegen Vlt., Weyl.). Wir haben in ihnen einen von aller theologischen Reflexion unberührten Laienglauben, der mit unbekümmerter Naivetät Christus in seinen Prädikaten und Attributen mit Gott einfach identifiziert und auf der andern Seite auch ganz archaistische Elemente ruhig übernimmt. Ein solcher Laienglaube konnte sich auf Grund paulinischer Theologie sehr rasch erheben.

Die sittlichen Ermahnungen der Briefe sind durchaus in altchristlicher Weise durch den Gedanken des Endgerichts bestimmt, und nirgends im neuen Testament — wenn man von den Herrenreden absieht — ist mit dieser Wucht der Gedanke der Verantwortlichkeit vor einem überweltlichen Richter geltend gemacht. Mit ihm ruft der Prophet eine Christenheit, die schon zu verweltlichen droht, zurück zur ersten Liebe, macht die Lauen wieder warm, erneut die erstorbene Kraft. Er ruft aus zum nahen Kampf, stählt zur Treue bis in den Tod, lenkt den Blick auf die im Himmel bereit gehaltenen Kronen.

Trotz aller Ungelenkigkeit und Eckigkeit im Ausdruck gehören die Briefe zum Mächtigsten, was im neuen Testament geschrieben ist. In unnachahmlicher Kürze, Prägnanz und Wucht reiht sich Satz an Satz. Fast nirgends steht ein Wort zu viel. Jeder Brief entwirft in kurzen markigen Zügen ein individuelles Bild von der Gemeinde, und jedes Bild erhält einen wirkungsvollen Rahmen in den bunten apokalyptischen Farben, die dem Zeichner des Menschensohnbildes 1,9ff. zur Verfügung stehen (s. o.). Die Motive im Innern der Bilder wiederholen sich zum Teil in kunstvoller Weise im Rahmenwerk.

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Bousset: Die Offenbarung Johannis. Göttingen: , 1906, Seite 239. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Bousset-S239.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)