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Die symbolische Bedeutung der Versiegelung bedarf keiner Erklärung. Schwieriger ist es, wie man sich das Buch und die Siegel des näheren vorzustellen habe. Die Anschauung Hofmanns[1], daß der Inhalt des Buches erst nach der vollständigen Entsiegelung zu Tage käme, also erst 8,1, so daß derselbe in der σιγή bestände, ist jedenfalls abzuweisen. Es ist vielmehr der Inhalt des Buches in den Ereignissen, welche die sieben Siegel bringen, zu suchen, so daß jedes Siegel einen Teil bringt. Dann aber wird die Vorstellung zu akzeptieren sein (Grotius, Spitta), daß das Buch aus sieben einzelnen Membranen bestand, von denen ein jedes wieder sein Siegel gehabt hätte. Dagegen spräche dann allerdings, daß der Seher unter diesen Umständen nicht alle sieben Siegel zugleich hätte sehen können. Daher nehmen Corn. a Lap., de W. in dem aufgerollten Buche mehrere Schnüre an, durch welche die einzelnen Abteilungen zusammengehalten werden und denken sich an diese erst die Siegel befestigt[2]. Es steht freilich dahin, ob sich der Apokalyptiker seine Vorstellung selbst bis ins einzelne plastisch ausgemalt hat. Wenn dann endlich nach der Lösung der Siegel die Ereignisse der Zukunft im Himmel geschehen, so ist hier die Erinnerung an die jüdische Vorstellung, daß alle irdischen Vorgänge im Himmel ihre Vorbilder haben, nicht berechtigt. Denn es handelt sich hier gar nicht um ein Vorspiel im Himmel, dem dann die eigentlichen Vorgänge auf Erden folgten, sondern um eine Weissagung. Es wäre ganz dasselbe, wenn nun der Seher in dem geöffneten Buche die zukünftigen Schicksale der Menschen zu lesen begänne. Die Darstellung erhält nur größere Plastik und Lebendigkeit dadurch, daß die Ereignisse in Bildern vor das Auge des Sehers treten.

5,2. καὶ εἶδον ἄγγελον [ἰσχυρὸν] (> Hipp.; ℵ κηρυσσ. ισχ.) κηρύσσοντα ἐν[3] φωνῇ μεγάλῃ Ein starker (?) Engel, weil er mit lautem, durchdringendem Ruf zu rufen hat. Wieder sind die Erlebnisse des Visionärs von gigantischer Mächtigkeit. τίς ἄξιος[4] (Joh 1,27 mit ἵνα konstruiert) ἀνοῖξαι τὸ βιβλίον καὶ λῦσαι τὰς σφραγῖδας αὐτοῦ; Hysteronproteron


  1. Zahn, unter Verweis auf E. Huschke, das Buch mit sieben Siegeln 1860 (J. Weiß schließt sich an Zahn an) vermutet, daß man in dem Buch ein Testament zu sehen habe, das nach römischer Rechtsvorschrift auf den Schnüren entsprechend den sieben Zeugen sieben Siegel tragen mußte (Marquardt, Röm. Privatleben² 805f. andre Belege bei Zahn). Diese Vermutung ist durch nichts bewiesen. Die sieben Siegel sind vom Apok. entsprechend den sieben Zeichen gewählt, nicht umgekehrt. Wenn hier die Vorstellung vorläge, daß die Eröffnung der sieben Siegel nur präliminarische Bedeutung hätte, wie die Ablösung der Siegel bei der Eröffnung des Testaments, so müßte notwendig in dem Gesicht nach der Ablösung des siebenten Siegels der Hauptakt, die Eröffnung des Buches selbst, dargestellt werden. Hier aber liegt die Vorstellung vor, daß mit der Ablösung jedes Siegels sich ein Teil des Inhaltes der Buchrolle verwirkliche.
  2. J. Weiß 57,3 teilt mit, daß R. Knopf eine solche Buchrolle mit sieben an Schnüren befestigten Siegeln konstruiert habe.
  3. Über die Auslassung des εν in P An. a Or. Hipp. s. Studien 27; Pr. (Cypr.) (g) läßt bei dieser Wendung das εν immer fort 5,2; 18,2; 19,17 cf. 4,4.
  4. AP An.(¹)²³ s¹ ae. Hipp. Or.; εστιν αξιος 1. vg. a s² Tic.; αξιος εστιν Q Rel. g c Cypr. Pr.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Bousset: Die Offenbarung Johannis. Göttingen: , 1906, Seite 255. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Bousset-S255.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)