Seite:Bousset-S257.png

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Wendungen und der Parallele mit 22,16, auch wegen des ἐνίκησεν (vgl. die Briefschlüsse). Er streicht deshalb den ganzen Vers und vermutet als ursprünglichen Text: μὴ κλαῖε, ἰδοὺ ὁ ἀνοίγων τὸ βιβλίον. Für uns ist im Gegenteil dieser Vers einer der Hauptbeweise dafür, daß auch in dem vorliegenden Abschnitt die Hand des uns bekannten Apokalyptikers sichtbar ist.

5,6. καὶ εἶδον[1] ἐν μέσῳ τοῦ θρόνου καὶ τῶν τεσσάρων ζώων καὶ ἐν μέσῳ τῶν πρεσβυτέρων ἀρνίον ἑστηκὼς[2] (s. o. S. 161) ὡς ἐσφαγμένον. Zwei Auffassungen über die Stellung des Lammes sind möglich. Entweder beziehen sich die beiden ἐν μέσῳ ( läßt übrigens das zweite fort) aufeinander wie das hebräische בין ובין‎ Lev 27,12 (LXX ἀνὰ μέσον καὶ ἀνὰ μέσον). Dann stände also das Lamm in dem Raum zwischen den Ältesten und der Mitte des Thrones (d. h. den vier Tieren), also etwa auf dem gläsernen Meer (de W.). Oder die beiden ἐν μέσῳ laufen parallel und betonen, daß das Lamm überhaupt im Mittelpunkt aller bisher genannten Wesen stand. Für letztere Auffassung spricht erstens der Ausdruck ἐν μέσῳ τοῦ θρόνου verglichen mit 4,6 und zweitens die Parallele 7,17 ἀνὰ μέσον τοῦ θρόνου. Demgemäß befand sich das Lamm auf dem von den vier Cheruben umgebenen Raum (Hltzm. gerade im Zentrum des ganzen Kreises). Das in der Apk so häufige Wort ἀρνίον kommt sonst in der neutestamentlichen Literatur nur noch Joh 21,15 (D πρόβατα) vor; dagegen ἀμνός Joh 1,29.36; I Pt 1,19; Akt 8,32. Die exegetischen Verhandlungen zu dieser Stelle haben m. E. das Resultat ergeben, daß die zuerst von Vischer versuchte Streichung des ἀρνίον an dieser Stelle unmöglich und ein Akt kritischer Willkür ist. Daß an einigen Stellen (6,16; 13,8) eine Interpolation des ἀρνίον sich wahrscheinlich machen läßt, beweist nichts für die mechanische Durchführung der Streichung durch die ganze Apk. Der Widerspruch mit den Attributen des Messias hier und im vorhergehenden Verse ist nicht kritisch aufzuheben, sondern psychologisch zu erklären[3]; und dann gerade außerordentlich interessant und charakteristisch. Weshalb ferner in der apokalyptischen Phantasie ein Lamm mit sieben Hörnern nicht zu dulden sein sollte, ist nicht abzusehen; welchem andern Tiere will man denn mit mehr Recht dies Attribut verleihen? Und endlich entsteht durch die Streichung des ἀρνίον eine Lücke im Zusammenhang, zu deren Ausschmückung man die Phantasie zu Hülfe nehmen muß. Vischer vermutet, daß in einem anzunehmenden aramäischen Urtext ארי‎ gestanden habe[4]; aber was für eine elende Kenntnis der Ursprache mutet er da seinem Übersetzer zu! Noch unglücklicher ist Harnacks Vermutung, daß hier nur ἑστηκώς (vgl. den Beinamen


  1. 35. 87 vg. Tic. και ιδον και ιδου (A και ιδου).
  2. ℵ 1. 7. 28. 32. 87; alle übrigen εστηκος, wie B. Weiß liest. Es könnte allerdings nach der Bezeugung in dem ἑστηκώς ein einfacher Schreibfehler vorliegen.
  3. Man vergleiche übrigens die merkwürdige Parallele Testamentum Joseph. 19: καὶ εἶδον, ὅτι ἐκ τοῦ Ἰούδα ἐγεννήθη παρθένος ἔχουσα στολὴν βυσσίνην καὶ ἐξ αὐτῆς προῆλθεν ἀμνὸς ἄμωμος καὶ ἐξ ἀριστερῶν αὐτοῦ ὡς λέων. καὶ πάντα τὰ θηρία ὥρμουν κατ’ αὐτοῦ καὶ ἐνίκησεν αὐτὰ ὁ ἀμνός. Der Text, der nicht ursprünglich ist, scheint bereits nach der Apk überarbeitet zu sein.
  4. Weyland denkt an eine Verwechselung mit אריאל Jes 29 (cf. 29,1).
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Bousset: Die Offenbarung Johannis. Göttingen: , 1906, Seite 257. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Bousset-S257.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)