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Es ist jedenfalls sicher, daß der Apok. sich 8,3ff. eine vollständige Tempelszenerie im Himmel denkt. Er unterscheidet zwischen einem θυσιαστήριον und einem θυσιαστήριον χρυσοῦν ἐνώπιον τοῦ θεοῦ. Er kennt also zwei Altäre, und 11,19; 14,17; 15,5f.8; 16,17 werden ausdrücklich Tempel und Allerheiligstes von ihm erwähnt. Nach dem hier geschilderten Opfervorgang ist es außerdem deutlich, daß mit dem ersten Altar der Brandopferaltar vor dem Heiligtum, mit dem zweiten der Rauchopferaltar im Heiligen gemeint ist, der auch Num 4,11 das Beiwort τὸ χρυσοῦν führt. Diese vollständige Tempelszenerie ist nun aber neben der Szenerie in Kap 4 nicht gut vorstellbar. Phantastisch sind jedenfalls die Versuche von Züll., Hgstb., Ebr. (Klief.), die beiden Schilderungen mit einander auszugleichen und in ein Bild einzutragen, dadurch, daß man die Szene in Kap. 5 in das Allerheiligste versetzt. Denn wie will man sich denken, daß der Seher Gott in dem noch verschlossenen Allerheiligsten (11,19; 15,8) sehen kann! (Vgl. Sp. 88. 89). Man könnte nun entweder annehmen, daß der Apok. die Bilder wechseln läßt, ohne dies ausdrücklich anzugeben. Möglich ist es auch, daß er sich überhaupt keine Gedanken über das Nebeneinander der verschiedenen Vorstellungen macht. Dafür spricht, daß er bereits 6,9ff. ein θυσιαστήριον (Brandopferaltar) im Himmel als etwas Selbstverständliches erwähnt. Jedenfalls aber hat er sich den vorauszusetzenden Tempel im Himmel und nicht auf Erden gedacht (gegen B. Weiß). Auch die Meinung Sp.s, daß hier in der ursprünglichen Vision I der Tempel auf Erden[1] gesehen sei, scheitert an V. 5. Überhaupt erscheint es mir nicht irgendwie notwendig, auf Grund des Wechsels in den szenischen Verhältnissen Kap. 4-6 und 8-9 von einander zu trennen. Auch J. Weiß, S. 73, sieht hier keine zur Quellenscheidung nötigende Schwierigkeit.

8,4. καὶ ἀνέβη ὁ καπνὸς τῶν θυμιαμάτων ταῖς προσευχαῖς τῶν ἁγίων (Dat. Commodi: der Rauch stieg auf zu Gunsten der Gebete der Heiligen) ἐκ χειρὸς τοῦ ἀγγέλου ἐνώπιον τοῦ θεοῦ. Das ist mit Rücksicht auf des Engels augenblickliche Stellung vor dem Räucheraltar gesagt. Wenn B. Weiß aus dem ἀνέβη schließen will, daß der Apok. sich die vorliegende Szene auf Erden gedacht habe, so muß dagegen die Frage erhoben werden, was denn im andern Fall für ein andres Prädikat bei ὁ καπνός erwartet werden könnte.

8,5. καὶ εἴληφεν (präsentisches Perfekt, B. Weiß) ὁ ἄγγελος τὸν λιβανωτόν. Jedenfalls ist hier der λιβανωτός als Kohlenpfanne gedacht. Die hier sich vollziehende Handlung gehört übrigens nicht mehr zur Opferhandlung, sondern ist ein Akzidenz derselben. Man darf daher nicht nach alttestamentlichen Parallelen suchen. καὶ ἐγέμισεν αὐτὸ ἐκ (s. o. S. 167) τοῦ πυρὸς τοῦ θυσιαστηρίου καὶ ἔβαλεν εἰς τὴν γῆν (s. o. S. 168). Wie immer in der Apk „auf die Erde“; hierdurch wird es sicher, daß der Standort des Engels im Himmel ist. In der parallelen Stelle Ez 10,2 streut der Engel vom irdischen Tempel aus die Kohlen


  1. Nach Sp. ist daher das ἐνώπιον τοῦ θρόνου erst durch R. eingebracht für ein ursprüngliches ἐνώπιον τοῦ θεοῦ.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Bousset: Die Offenbarung Johannis. , Göttingen 1906, Seite 294. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Bousset-S294.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)