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Verhältnis zu den folgenden Erscheinungen zu erörtern, wenn ihm nicht hier ein quellenmäßiger Zusammenhang vorgelegen hätte.

Es besteht aber dieses Stück wieder aus zwei kleineren, 11,1-2 und 11,3-13 (12), die zunächst jedes für sich untersucht werden müssen. Seit den verdienstlichen Untersuchungen Wellhausens über diesen Abschnitt (Skizzen und Vorarbeiten VI 221-223) ist nun zunächst eine ganz genaue Datierung des kleinen Fragmentes 11,1-2 und dessen völlig zureichende Deutung möglich geworden. Es muß in einer Zeit äußerster nationaler Not geschrieben sein. Die heilige Stadt gilt dem Seher bereits als verloren, sie soll den Heiden gegeben werden. Aber er erhofft die Rettung des Tempels und des inneren Vorhofes mit seinem Brandopferaltar. Weiter noch führt uns die Angabe, daß οἱ πορσκυνοῦντες ἐν αὐτῷ (τῷ θυσιαστηρίῳ) gerettet werden sollen. Hier kann der Seher in der gegenwärtigen Situation kaum an alle Juden, die zu irgend einer Zeit beim Brandopferaltar anbeten, denken. Wen aber mag er damit meinen? Da wir aller Wahrscheinlichkeit nach die hier geschilderte Situation auf die Zeit der Belagerung Jerusalems 67-70 zu beziehen haben, so werden wir uns die Frage zu stellen haben, ob in dieser Zeit das οἱ πορσκυνοῦντες ἐν αὐτῷ nicht einen ganz bestimmten Sinn gehabt haben könnte. Nun wissen wir, daß zur Zeit der Belagerung der Tempel und der innere Vorhof das Hauptquartier der Zeloten war. Damit ist die Situation für 11,1-2 tatsächlich gegeben. Wir haben hier ein zelotisches Flugblatt. Es ist in der Zeit der Belagerung Jerusalems geschrieben. Es wird geweissagt: die Römer sollen die Stadt Jerusalem, ja selbst den äußeren Vorhof einnehmen, aber an dem Widerstand der Zeloten im Innern des Tempels sollen ihre Angriffe scheitern, und nur eine bestimmte Zeit — die Zeit der letzten Not hindurch — sollen die Heiden die Stadt Jerusalem zertreten. Man beachte, daß von einer Zerstörung Jerusalems hier nicht die Rede ist[1].

Wir gehen zur Betrachtung des zweiten Stückes V. 3-13 über. Seinem allgemeinen Charakter nach enthält dieses reine Zukunftsweissagung, bei der man zunächst auf jede zeitgeschichtliche Deutung wird verzichten müssen. Und zwar haben wir diese Zukunftsweissagung in einer so rätselhaften und fragmentarischen Form, daß jeder Versuch der näheren Deutung zu scheitern scheint. Die Weissagung von den beiden Zeugen ist jedenfalls ein stehen gebliebenes Rudiment, dessen Herkunft und Bedeutung für uns unerkennbar bleibt (s. o. S. 317f.). Das aus dem Abgrund auftauchende Tier ist allerdings eine seit Daniel der jüdischen Apokalyptik im allgemeinen geläufige Figur. Aber alle näheren Umstände, unter denen diese Gestalt hier auftritt, sind hervorragend undeutlich. Soll das Tier eine rein mythologische Figur, oder wie bei Daniel Symbol eines Reiches, oder eine persönliche, geschichtliche Gestalt sein? In welcher Beziehung steht es zu Jerusalem, der Stadt, in welcher es auftritt? In welcher Beziehung zu den hier erwähnten Völkern und Nationen? In


  1. Der Einwand, den J. Weiß 129 erhebt, daß die literarische Umgebung, in der das Stuck stehe, die Annahme eines zelotischen Verfassers erschwere, ist kaum stichhaltig. Denn es soll erst noch bewiesen werden, daß wir hier nicht ein versprengtes Fragment vor uns haben.
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Wilhelm Bousset: Die Offenbarung Johannis. , Göttingen 1906, Seite 325. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Bousset-S325.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)