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orientierten Weissagung geschlossen haben würde (vgl. Weiß 129). Doch ist das durchaus nicht unmöglich. Es ist vielmehr ein Grundzug aller Apokalyptik, daß sie von der Tradition lebt. Nur die vorderen Kulissen verschieben sich je nach dem zeitgeschichtlichen Milieu, der Hintergrund bleibt mehr oder minder unverändert. So verbindet denn auch der hier schreibende Apokalyptiker mit der dramatischen, unmittelbar aus seinen Erlebnissen hervorgewachsenen Weissagung die stereotypen Erwartungen vom Ende, wie er sie in der ihm geläufigen Tradition vorfand. Während die feindlichen Heere bereits Jerusalem besetzt halten, ein Häuflein getreuer Israeliten an seiner letzten Zufluchtsstätte der feindlichen Übermacht standhält, werden dort unten in Jerusalem die großen Wunder der Endzeit erscheinen: die beiden Zeugen und das aus dem Abgrund auftauchende Tier. Leider hat jener „zelotische“ Apokalyptiker, oder wahrscheinlicher der christliche Apok. letzter Hand uns diese Weissagung allerdings erheblich verkürzt überliefert. Es wird wahrscheinlich schon vor dem Autreten der beiden Zeugen von dem aus dem Abgrund auftauchenden Tier die Rede gewesen sein. Es wird bestimmter geschildert sein, wie sich die Tätigkeit der Zeugen gerade gegen das Tier gerichtet habe. Nur so kann die Tötung der Zeugen durch das Tier motiviert gewesen sein. Am Schluß (nach dem Erdbeben) ist die Weissagung jedenfalls abrupt abgebrochen. Wir werden unsre Aufmerksamkeit darauf richten müssen, ob wir diesen Schluß nicht in den folgenden Weissagungen unserer Apk noch irgendwie wiederfinden[1].

So ergibt sich das wichtige Resultat, daß die Weissagung V. 3-13 im Grunde bereits älter ist als die konkrete zeitgeschichtlich bedingte kleine Apk V. 1-2. Jene wurde als eine bereits stereotyp gewordene Endweissagung von dem Verfasser dieser weitergegeben, nicht erdichtet. — Wenn wir nun versuchen, die Geschichte dieser Weissagung noch ein wenig nach rückwärts zu verfolgen, so ist klar, daß diese in den größeren Zusammenhang der (an Daniel sich anlehnenden) Apokalypsen einzureihen ist, die am Ende der Zeit die Zusammenfassung aller widergöttlichen Bestrebungen in einer halb mythischen, halb menschlich-persönlichen Gestalt erwarten. Am nächsten steht unserer Apk das bemerkenswerte Stück in der Himmelfahrt des Moses Kap. 8-9. Auch hier wird ein in Jerusalem auftretender furchtbarer, widergöttlicher Tyrann erwartet, ein König über die Könige der Erde, der — eine Mischgestalt zwischen Antiochus Epiphanes und Herodes — eine Schreckensherrschaft über das Volk errichten wird. Das mythologische Element ist hier


  1. Viel zu schnell bringt J. Weiß 129ff. unser Stück mit einer ganzen Reihe anderer versprengter Stücke unserer Apk in Verbindung. Unannehmbar ist es vor allem, daß in der hier vorliegenden, auch nach J. Weiß vor 70 geschriebenen Quelle bereits mit dem Tier aus dem Abgrund der wiederkehrende Nero gemeint sei. Das mag im Sinne des Apok. letzter Hand richtig sein. Aber in der Zeit vor 70 ist die Beziehung auf Nero eine Unmöglichkeit. Denn wenn allenfalls das Gerücht von dem wiederkehrenden Nero in dieser Zeit unserm Apok. hätte bekannt sein können — auch das ist recht unwahrscheinlich — so ist es unmöglich, daß schon vor 70 die Gestalt Neros eine gespenstisch höllische geworden wäre. Und das müßte bei dieser Beziehung des θηρίον ἀναβαῖνον angenommen werden (s. den Kommentar zu Kap. 17).
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Bousset: Die Offenbarung Johannis. , Göttingen 1906, Seite 327. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Bousset-S327.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)