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unter den Christen muß man jedenfalls die „λοιποί“ suchen, wenn man nicht V. 17b irgendwie vergewaltigen oder beseitigen will. Ganz unglücklich ist es, mit Erbes bei den λοιποί an die Juden, als die Brüder der Judenchristen und Söhne Israels (zur zeit Caligulas) zu denken, die ja auch das Zeugnis Jesu unter sich, d. h. ganz äußerlich in ihrer Mitte, haben.

Exkurs zu Kap. 12.

1. Wir fassen zum Zweck der endgültigen Erklärung des zwölften Kapitels zunächst noch einmal zusammen, was sich als Inhalt und Bedeutung dieses Kapitels im Sinne des Apokalyptikers letzter Hand ergeben hat. Nach der siebenten Posaune will er die Weissagung offenbar auf die Höhe führen. Der letzte Krieg mit dem furchtbarsten und letzten Feind beginnt. Der Satan selbst und sein Diener, das römische Reich, zwingen die Gläubigen zum entsetzlichen Kampf. So wird das zwölfte Kapitel eine grandiose Einleitung zum Folgenden. Der Apok. schaut rückwärts auf das Treiben des Satans in dieser letzten Zeit, seitdem der Heiland auf Erden erschienen ist. In rätselhaften mythischen Farben schildert er dessen Erscheinen auf Erden. Von dem herrlichen Sonnenweibe wird das Wunderkind geboren. Aber schon vor und mit seiner Geburt hat der alte Erbfeind das „Kind“ verfolgt. Es ist aber durch die Auffahrt zu Gottes Thron seiner Macht entrückt. Und seine Diener, Michael an der Spitze, haben den nachstürmenden Drachen in einer Himmelsschlacht besiegt. Schon hört der Seher den Jubel im Himmel, daß der Erbfeind ein für allemal besiegt und gerichtet ist und Gott und sein Gesalbter das Regiment in den Händen haben. Auf Erden freilich wird die Not und der Kampf jetzt erst furchtbar werden, aber in prophetischer Siegeszuversicht läßt der Apok. schon jetzt im Himmel den Siegeshymnus zu Ehren derer anstimmen, die in der Not des letzten allgemeinen Martyriums Treue bis zum Tode bewahren werden. — Der vom Himmel gestürzte Drache rüstet sich zu neuem Kampf. Er verfolgt nunmehr das Weib, d. h. Im Sinn des Apokalyptikers das wahre Israel oder die Gemeinde der Gläubigen. Er hätte sie fast verderbt, aber in wunderbarer Flucht hat sich die (judenchristliche) Gemeinde gerettet, und nunmehr wendet der Drache sich der Verfolgung der übrigen vom Samen des Weibes, d. h. der Gläubigen (Heidenchristen) in der weiten Welt zu.

2. So gut die Frage beantwortet werden kann, was sich unser Apok. im großen und ganzen bei der Weissagung in Kap. 12 gedacht habe, ebenso sicher ist es, daß damit nicht der ursprüngliche Sinn dieser Bilder erschlossen ist. Es bleiben eine Menge von Inkongruenzen und Diskrepanzen zwischen Bild und Sache. Und wir können mit Sicherheit behaupten, daß der Apok. aus sich heraus niemals seine Bilder geschaffen hätte, um das zu sagen, was er meinte. Viele Züge in dem Gemälde bleiben bei jener Deutung einfach überschüssig: Das in die Sonne gekleidete Weib mit dem Mond unter den Füßen, die Häupter, Hörner, Diademe des Drachen, das Herabfegen der

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Wilhelm Bousset: Die Offenbarung Johannis. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1906, Seite 346. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Bousset-S346.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)