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Wird es noch möglich sein, auch dieses Rätsel zu lösen? Es sind verschiedene Versuche gemacht der Lösung des Rätsels näher zu kommen.

Gunkel hat in „Schöpfung und Chaos“ (vgl. z. religionsgesch. Verst. d. N. T. 54ff.)[1] das Kapitel wesentlich aus babylonischen Einflüssen erklären wollen. Er fand in dem Drachenungeheuer die babylonische Tiâmat. Die Empörung und der Kampf des Drachen gegen die himmlischen Mächte stehn im Mittelpunkt des babylonischen Schöpfungsmythus. Tiâmat sei als Wasserungeheuer gedacht. Dazu würde die Schilderung von der Verfolgung des Weibes gut passen. Außerdem zeigen die Vorstellungen in der Apk mannigfache Berührungen mit Dan 7 (und 8), dessen Abhängigkeit von dem altbabylonischen Mythus Gunkel wahrscheinlich gemacht hat. Der Drache schlägt mit seinem Schweif die Sterne vom Himmel, das kleine Horn Dan 8,10ff. stößt sie vom Himmel herab. Aber das ist auch alles, was an etwaigen Berührungen mit altbabylonischer Mythologie sich wahrscheinlich nachweisen läßt[2]. Gunkel aber postuliert nun auf Grund von Apk 12 einen altbabylonischen Mythus von der Geburt des Marduk, des jungen Sonnengottes. Das Sonnenweib ist nach G. die Mutter Marduks, Damkina[3]. Diese gebiert — Genaueres zur Aufhellung von V. 1ff. kann G. auch nach der babylonischen Mythologie nicht geben — den Marduk. Sie und das Kind werden von der lichtfeindlichen Tiâmat verfolgt. Der Adler, der dem Weibe behülflich sei, sei vielleicht das Sternbild „des Adlers“. Die Zeiten, in denen Tiâmat herrscht, sind 3½, d. h. die Zeit von der Wintersonnenwende bis zur Frühlings-Tag- und Nacht-Gleiche, und einem (½) weiteren Zeitraum, den Gunkel nicht deuten kann. Das ist die Zeit der Herrschaft des gestrengen Winters. Dann aber erhebt sich der junge Sonnengott und schlägt die Tiâmat[4]. Aber alle charakteristischen Züge dieses babylonischen Sonnenmythus, das Weib, die Geburt des Kindes, die Verfolgung durch den Drachen, die Flucht in die Wüste sind bis jetzt wenigstens nur postuliert und nicht nachgewiesen. Das gesteht Gunkel, z. religionsgesch. Verst. d. N. T. 55ff., selbst zu. Er legt jetzt allen Nachdruck nicht mehr auf den Beweis des Babylonischen, sondern des Mythischen. — Viel erfolgreicher und einleuchtender ist der Rückgang A. Dieterichs auf das Gebiet der griechischen Mythologie (Abraxas 117ff.). D. glaubt in Apk. 12 eine Überarbeitung des Mythus von der Geburt des Apollo zu finden, wie er in der gebräuchlichsten Fassung bei Hygin vorliegt. Dort wird erzählt: Pytho dem Sohn der Erde, dem großen Drachen war geweissagt, daß der Sohn der Leto ihn töten würde. Leto war von Zeus schwanger


  1. Vgl. auch Zimmern K.A.T.³ 508ff., namentlich 512 u. ö.
  2. Einzelne Berührungen in späteren Kapiteln werden genauer weiter unten besprochen werden. Die meisten von ihnen sind recht unsicher, andre wieder beweisen nichts.
  3. Gewisse Parallelen zwischen der Darstellung des Sonnenweibes 12,1 und Darstellungen babylonischer Mythologie s. Gunkel, Schöpfung u. Chaos 386,1, z. rel. Verst. d. N. T. 561; Zimmern 360,3 630.
  4. In Apk 12,7 findet Gunkel einen vorläufigen unentschiedenen Kampf, welchen die andern Götter vor Marduk mit der Tiâmat führen. Aber der Apok. will hier gerade den Enscheidungskampf schildern. G. gesteht selbst (382), daß die Überlieferung nur noch verdunkelt vorliege.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Bousset: Die Offenbarung Johannis. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1906, Seite 352. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Bousset-S352.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)