Seite:Bousset-S355.png

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Und vom Siege des Horus heißt es (vgl. in demselben Hymnus 399, und dann [717] 721):

Und der Drache (Abut-unti) richtet sich gegen dich auf,
Horus zückt seine Speere nach ihm,
Indem jener Himmel und Erde durch seine Unwetter bewegt.
Seine magischen Kräfte tragen den Sieg über seinen Gegner davon,
Und sein scharfes Schwert trifft den geblendeten Drachen[1].

Die Differenzen zwischen dem ägyptischen Mythus und Apk 12 sind ganz ähnlicher Art wie diejenigen, welche diese Erzählung von dem griechischen unterscheiden. Eine wesentliche Differenz ist es noch, daß weder im ägyptischen noch im griechischen Mythus von einer Flucht in die Wüste die Rede ist. Aber im ägyptischen ist wenigstens die Wassernatur des Ungeheuers Typhon noch ganz deutlich bewahrt.

7. Woher der Verfasser von Apk 12 sein Material entlehnt hat, das wird sich kaum mehr mit Sicherheit sagen lassen. Aber in einem Punkte begegnen sich die Hülfslinien, die wir bis jetzt gezogen haben: ein alter Sonnenmythus scheint aller Wahrscheinlichkeit nach in Apk 12 verarbeitet zu sein. Die alte heilige Erzählung von dem Sieg des jungen erwachenden Lichtgottes über die bösen Mächte der Finsternis hat man verwandt, in ihr symbolisch den Sieg Jesu über den Satan und den glorreichen Ausgang seines Lebens darzustellen. Jesus trat an Stelle des schönen Knaben, des jungen Lichtgottes. Die Mutter des rettenden Lichtgottes ist ursprünglich die große Himmelsgöttin. Von hier aus verstehen wir ihre Attribute Sonne, Mond und die zwölf Sterne (des Tierkreises), die sie als Diadem aus dem Haupte trägt, sehr wohl. Diese Himmelsgöttin wird nun, indem man sich dabei an alttestamentliche Vorbilder anlehnen konnte, das idealisierte Israel. Der Drache, ursprünglich der Gott der Tiefe und der Finsternis, des Winters und der Kälte, der Erbfeind alles Lichtes und Lebens, der Feind der himmlischen Lichtgottheiten, wurde zu der der jüdisch-christlichen Apokalyptik geläufigen Figur des Teufels umgedeutet. Wenn in dem Mythus berichtet wird, daß der Drache, der grimmige Herrscher der Winterszeit, den eben geborenen und heranwachsenden jungen Lichtgott und seine Mutter verfolgt, so lag doch die christliche Umdeutung auch hier recht nahe. Seit langem war man gewohnt das Leben Jesu als eine Kette von Nachstellungen des Satans anzusehen Lk 4,13. Auch daß der vom Drachen verfolgte Sonnengott als Kind erscheint, störte nicht so sehr, wie es uns stört. Man war ja gewohnt, das ganze irdische Leben Jesu nur als etwas Vorläufiges, als den ersten noch nicht entscheidenden Akt und erst seine Wiederkunft als das eigentlich Entscheidende anzusehen. An einem Punkt freilich — und hier löst sich uns nun die letzte Schwierigkeit in der Komposition der Apk — konnte man die Darstellung des Mythus nicht herübernehmen. In diesem erfolgt die Rettung des Sonnenknaben durch die Flucht der Mutter, in der Einsamkeit wächst der junge


  1. Dann wird auch hier von einer Gefangensetzung des Drachen und von seiner Verzehrung durch Feuer erzählt 722, s. u. zu Apk 20,1ff.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Bousset: Die Offenbarung Johannis. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1906, Seite 355. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Bousset-S355.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)