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die beide von den Königen handeln, durch den ganz andersartigen V. 15, in dem die Wasser, an denen das Weib sitzt, gedeutet werden, getrennt sind. Von hier aus fällt es dann weiter auf, daß für die sieben Häupter des Tieres ebenfalls eine Doppeldeutung auf sieben Berge V. 9 und sieben Könige V. 9f. gegeben ist. Ferner scheint mit Sicherheit die Zählung der Könige V. 10 auf die Zeit Vespasians zu führen. Ebenso sicher aber liegt in unserm Kapitel bereits die ausgebildete Sage vom Nero redivivus vor V. 8. Die Entstehung dieser Form der Legende aber ist, wie sich mit großer Wahrscheinlichkeit erweisen läßt, erst am Ende des ersten Jahrhunderts, jedenfalls nicht schon in der Zeit Vespasians denkbar. Auch hat der Apok. letzter Hand sicher nicht schon unter Vespasian geschrieben.

Man wird aber die Tragweite der in unserm Kapitel vorliegenden Differenzen nur überschauen und richtig würdigen können, wenn man sich die Wandlungen, welche die Nerosage in der Überlieferung überhaupt durchgemacht hat, vergegenwärtigt. Schon bald nach dem Tode Neros bildete sich der Glaube aus, daß er nicht gestorben sei, sondern noch lebe und zur Rache wiederkehren werde, Sueton, Nero 57; Tacitus, Hist. II 8. Die Sage ist in ihren Ursprüngen römisch-national. Man konnte nicht fassen, daß das alte Kaisergeschlecht der Julier zu Grunde gegangen sei, Vespasian und seine Söhne galten dem römischen Volk nicht als eigentliche Cäsaren aus dem göttlichen Geschlecht. Und so beginnt die Sage vom wiederkommenden Kaiser schon in dieser Zeit ihren Zauber zu entfalten, den sie ein Jahrtausend hindurch und weit darüber hinaus ausgeübt hat. Zunächst wird einfach gesagt, daß Nero nicht gestorben sei, daß er irgendwo noch weile. Bald aber nimmt die Sage eine bestimmtere Wendung: Nero, heißt es nun, ist zu den Parthern geflohen und wird von dort mit Heeresgewalt wiederkehren. Nero selbst soll davon gesprochen haben, daß er zu den Parthern fliehen werde, Sueton 47. Er hatte freundschaftliche Beziehungen zu dem Parther-Könige Vologaeses, Sueton 57, ja es war ihm geweissagt, daß er einst König des Orients werden und in Jerusalem seinen Thron aufschlagen würde, Sueton 40. Schon im Jahre 69 unter dem Regiment Othos hatte ein Pseudo-Nero Kleinasien und Griechenland in Aufregung versetzt. Er hatte einen Anhang gesammelt, war durch einen Sturm auf die Insel Cydnus verschlagen, dort von Calpurnius Asprenas, einem Statthalter Galbas, gefangen und hingerichtet Tacitus, Hist. II 8-9; Dio Cassius LXIV 9; Zonaras XI 15. Ein zweiter Pseudo-Nero (sein eigentlicher Name soll Terentius Maximus gewesen sein) soll nach Zonaras XI 12 unter Titus am Euphrat aufgetreten sein. Er erhielt die vorübergehende Unterstützung des Partherfeldherrn Artabanus. Vielleicht ist dieser Pseudo-Nero identisch mit demjenigen, von dem Sueton c. 57 berichtet, daß er zwanzig Jahre nach Neros Tode aufgetreten sei. Die Zeitangabe wäre freilich recht ungenau. Aber auch von diesem Pseudo-Nero berichtet Sueton, daß er die Unterstützung der Parther gefunden habe, und dieser mag ja immerhin sein Wesen noch einige Jahre bis in die Regierung Domitians getrieben haben, so daß Zonaras und Sueton nicht mit einander durchaus im Widerspruch standen. Ganz allgemein sagt übrigens Tacitus

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Wilhelm Bousset: Die Offenbarung Johannis. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1906, Seite 411. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Bousset-S411.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)