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Sei gegrüßt, Gebenedeite!
Denn mit dir will sein der Herr,

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Und aus deinem Eingeweide

Soll erstehen dir der Herr.

Und die Frucht aus deinem Leibe
Soll dem Herren ähnlich sehn;
Daß dir Gottes Liebe bleibe,

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Soll sein Bild aus dir erstehn.


Drum aus deinen sieben Reifen,
Von der Rinde bis zum Kern,
Laß mich eine Handvoll greifen;
Also ist der Will des Herrn!“

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Vor des Engels lautem Schreie

Widertönt der Erde Erz,
Und mit einem tiefen Schreie
Tönet auf aus ihr das Herz:

„Gabriel! zum Herrn ich schreie,

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Tief in innrer Angst erbebt,

Daß er mir den Wunsch verzeihe,
Daß ich bleibe unbelebt.

Daß ich jungfräulich im Scheine
Seines Lichtes freudig steh,

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Nimmer um den Menschen weine,

Nicht in Sünde untergeh.

Jetzo bin vor Gott ich reine;
Soll ein Herr aus mir erstehn,
Wie soll bleiben er der meine,

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Wenn er in das Licht gesehn?“


Und den Seraph hat das Weinen
Der Jungfräulichen bewegt,

Empfohlene Zitierweise:
Clemens Brentano: Romanzen vom Rosenkranz. Hrsg. von Alphons Maria von Steinle. Trier: Petrus-Verlag G.m.b.H., 1912, Seite 129. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Brentano_Romanzen_vom_Rosenkranz_129.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)