Seite:Brentano Romanzen vom Rosenkranz 134.jpg

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Sonnen gleich zu Gottes Preise
War das Antlitz ihm erhellt.

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Ruhend ihm die Stirne reichte,

Wo die Sonne aufersteht;
Ruhend ihm die Ferse reichte,
Wo die Sonne untergeht.

Und die Tiere und die Geister

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Blieben betend vor ihm stehn,

Glaubten ihn den ewgen Meister,
So war herrlich er und schön!

Doch da sie ihm näher schreiten,
Haben sie ihn erst erkennt,

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Da er schrie: „Die Herrlichkeiten

Gottes sind ohn Zahl und End!“

Aber Gott sah ihn mit Neide,
Wollte ihn verkleinern gern,
Auf daß künftig unterscheide

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Man den Diener von dem Herrn.


Ließ vom Schlafe ihn beschleichen,
Den erfunden Azrael,
Zu ihm, zu den irdschen Reichen
Stieg er, daß er ihn bestehl.

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Machte um viel Ellen kleiner

Und beraubt sein eigen Werk,
Streute um ihn her die Beiner,
Daß er seine Herrschaft merk.

Und da Adam war alleine,

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Sah die Tiere paarweis gehn,

Wollt der Herr, daß er nicht weine,
Ihm nach einem Weibe sehn.

Empfohlene Zitierweise:
Clemens Brentano: Romanzen vom Rosenkranz. Hrsg. von Alphons Maria von Steinle. Trier: Petrus-Verlag G.m.b.H., 1912, Seite 134. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Brentano_Romanzen_vom_Rosenkranz_134.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)