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Wilhelm Stieda (Hrsg.): Briefwechsel Hildebrand Veckinchusen

er bemerkt ihm treuherzig: „Ach, leve Hildebrant, dat were enbarmelich dont unde en hart dont. Got geve, dat et ju mit juwen wive unde kinderen dar nicht to enkeme“. Hildebrand hat also sicherlich die Dinge so beurteilt, wie er sie zu sehen glaubte, und den Gedanken auf die Hilfe des Bruders Siverts nicht fallen lassen. Es fragt sich nur, ob er richtig sah, und ob nicht vielleicht die Lage des Bruders Sivert derart war, daß er nicht helfen konnte. Seine andauernden Beteuerungen, daß er alles täte, was in seinen Kräften stände, und mit Rücksicht auf die Seinigen nicht mehr tun könne, machen kopfscheu. Man sieht auch nicht, daß er bar Geld gegeben oder der Schwägerin tatkräftig beigestanden hätte. So bleibt man mißtrauisch und hält es unwillkürlich mit dem vielleicht leichtherzigeren aber sympathischen Bruder Hildebrand, der seinen Mitmenschen zuviel Vertrauen schenkt und für solche Leichtgläubigkeit bitter genug bestraft wird.

Sivert Veckinchusen ist so wenig eine geschichtlich bedeutsame Persönlichkeit wie Hildebrand. Aber der Schilderung ihrer Lebensverhältnisse und Geschäftsunternehmungen wohnt zweifellos eine allgemeine Bedeutung inne. Das wechselvolle Leben, das auch Sivert zu führen genötigt war und in das er durch die Festigkeit seines Charakters, die mit den Aufrührern in Lübeck jede Gemeinschaft verschmähte, geraten war, ist dazu angetan, die Schwierigkeiten erkennen und würdigen zu lassen, mit denen der Handel jener Tage kämpfte. Langsamer Nachrichtenverkehr, unzureichende Kommunikationsverhältnisse, mangelnder Rechtsschutz, Kriege, politische Unruhen machen das kaufmännische Geschäft zu einem risikoreichen, den Gewinn häufig zu einem illusorischen.

Gleichwohl erscheint der deutsche Kaufmann in beiden Brüdern von einer bewunderungswürdigen Seite. Mit zäher Energie hält er an seinen Zielen fest. Kein Hindernis ist so schwer, daß er es nicht überwinden kann. Vorübergehendes Ungemach trägt nur dazu bei, seine Kraft zu stählen, und schließlich sieht er seine mühevolle Arbeit auch belohnt. Wenn Hildebrand nach seiner Befreiung aus der Gefangenschaft nicht wieder hochkommt wie Sivert nach seiner Rückkehr aus dem selbstgewählten Exil, so hat nur sein frühzeitiger Tod diesen tragischen Ausgang bewirkt. Er hätte die Fähigkeiten, die ihm und den Seinigen einen besseren Lebensabend beschieden hätten, sicher noch voll zur Geltung gebracht. Vorsichtige Erwägung bei der Inangriffnahme von Geschäften, weiter Blick über das zu Handelsoperationen geeignete Feld, genaue Rechnungsführung zeichnen beide Brüder aus. Ob alle Kaufleute jener Epoche mit gleichen vortrefflichen Eigenschaften ausgezeichnet waren, muß man natürlich dahingestellt sein lassen. Allein dieser Grundzug war ihnen wohl allen eigen: hervorragende persönliche Tüchtigkeit und unermüdete Arbeitskraft. Mit solchen Gaben verstanden sie, was das Zeitalter bot auszunutzen, und trugen damit zum Ruhme und Glanze des Vaterlandes bei. Damals stand der deutsche Kaufmann im Mittelpunkte des Welthandels und beherrschte ihn. Früher als andere Völker war das deutsche darauf gekommen, die reichere Bildung und Kultur vorgeschrittener Gegenden den zurückgebliebenen zugänglich machen zu wollen. Sonst hätte die Hanse nicht die Kontore in Nowgorod, die

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: Briefwechsel Hildebrand Veckinchusen. Leipzig: S. Hirzel, 1921, Seite LVI. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Briefwechsel_Hildebrand_Veckinchusen_LVI.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)