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häufig begegnet man derartigen Darstellungen noch in unseren Tagen an einzelnen Häusern morgenländischer Städte. Da sieht man über der Thür, an der weiß gestrichenen Wand, mehrere Hütten mit einer Moschee in der Mitte, ein Kameel mit einem Teppich auf dem Rücken, ein anderes das einen Reiter trägt, dann einen Eisenbahnzug, Wasser, ein Schiff, demnächst mehrere Kameele mit Reitern und Gepäck, einen Löwen, endlich eine Moschee von Palmenbäumen umgeben. Allen, die an dem Hause vorübergehen, wird hierdurch angezeigt: „ich, der Besitzer dieses Hauses, bin von meiner Stadt aus mit der Mekkapilger-Karawane nach der Hafenstadt Suez aufgebrochen, habe mich mit andern Pilgern vereinigt, bin mit ihnen durch die von wilden Thieren bewohnte Wüste unbehelligt gezogen und habe glücklich Mekka erreicht“.

Diese Art von Schrift ist ebensowohl für den Eingeborenen verständlich, als für den Europäer, welcher die Sitten und den Ideenkreis der Bewohner des Morgenlandes kennt. Im anderen Falle würden bisweilen Irrungen unvermeidlich sein, wie Abbé Domenèche, der Verfasser des Buches der Wilden, zu seinem großen Schaden hat erfahren müssen.[WS 1] Aber diese Schrift, wie wir gleich dazu bemerken wollen, entsprechend der niedrigen Culturstufe des oder der Schreibenden, kann sich nur in einem sehr beschränkten Kreise bewegen. Für einen größeren Kreis von Anschauungen, für einen erweiterten Ideengang, für eine fortschreitende Bildung würde sie nicht mehr ausreichen. Da erst tritt die wichtige, dritte Stufe in der Schriftentwicklung ein, die höhere Stufe der Schöpfung conventioneller Zeichen und Bilder.

Denn bei aller Kindlichkeit ist jene einfache Schrift bis zu einem gewissen Grade hin, einer Vervollkommnung fähig, sowohl in der Wahl der Bilder, als in deren Zusammenstellung.

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Anmerkungen (Wikisource)

  1. siehe dazu Manuscrit pictographique américain précédé d’une Notice sur l’idéographie des peaux-rouges par l’Abbé Em. Domenech. Gide, Paris 1860 Internet Archive und Commons-Kategorie Livre des sauvages; vgl. den engl. Wikipedia-Artikel zu E. Domenech
Empfohlene Zitierweise:
Heinrich Brugsch: Ueber Bildung und Entwicklung der Schrift. C. G. Lüderitz’sche Verlagsbuchhandlung, Berlin 1868, Seite 9. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Brugsch_Bildung_Entwicklung_Schrift_1868.pdf/11&oldid=- (Version vom 31.7.2018)