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vertrat bereits die Stelle des flüssigen Schreibstoffes, und der Rohrgriffel oder der zugespitzte Holzstiel diente dem Schreibenden als Feder. Wir sehen in den Gräbern ein ganzes Volk von Schreibern, hoher und niederer Stellung, beschäftigt die viereckigen Tafeln mit Schriftzügen zu bedecken, hinter dem Ohre einen oder zwei Schreibgriffel führend, als müßten sie bei ihrer Arbeit häufig mit den hölzernen Federn wechseln. Sie schreiben nicht nur, sondern sie rechnen auch und bedienen sich zu ihren arithmetischen Operationen des dekadischen Zahlensystems. Und was sie, die bereits vor sechstausend Jahren dem Schooße der Erde übergeben worden, schrieben, es war nicht blos berechnet für Aufzeichnungen, welche das gewöhnliche Leben erheischte, sondern es verstieg sich bis zum philosophischen Gedanken hin. Lange vorher, ehe König Salomo seine Sprüche der Weisheit zum Nutz und Frommen der Nachkommen niederschrieb, hatte zu den Zeiten Königs Assa, d. h. als der Bau der Pyramiden in voller Blüthe stand, der ägyptische Prinz Ptahhotep Lehren der Weisheit gepredigt, welche den salomonischen in keiner Weise nachstehen. Ihm erscheint das Wissen als das Leben und die Unwissenheit als der Tod. Auf der 17. Seite des von ihm geschriebenen Papyrus, welcher gegenwärtig als eines der merkwürdigsten Ueberbleibsel des grauesten Alterthumes auf der kaiserlichen Bibliothek zu Paris aufbewahrt wird[1], bemerkt der ägyptische Salomo: „der Thor er ist ungehorsam, er leistet nichts, er betrachtet das Wissen als Unwissenheit, die Tugend als Laster, – darum ist sein Leben wie der Tod“. In ähnlicher Weise behandelt der altägyptische Königssohn in ächt philosophischem Sinne und in ruhiger, besonnener Weltanschauung alle nur möglichen Lebensverhältnisse.

Zur Zeit der Abfassung dieser Papyrus-Rolle, welche uns

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Anmerkungen

  1. [31] Der altägyptische Text ist von seinem Entdecker in einem treuen Facsimile veröffentlicht worden unter dem Titel: „Fac-simile d’un papyrus égyptien en caractères hiératiques trouvé à Thèbes, et publiè par E. Prisse d’Avennes. Paris 1847.
Empfohlene Zitierweise:
Heinrich Brugsch: Ueber Bildung und Entwicklung der Schrift. C. G. Lüderitz’sche Verlagsbuchhandlung, Berlin 1868, Seite 26. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Brugsch_Bildung_Entwicklung_Schrift_1868.pdf/28&oldid=- (Version vom 31.7.2018)