Seite:Burney - Tagebuch einer musikalischen Reise 3. Bd 1773.pdf/216

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man sich nothwendig erst ein wenig daran gewöhnen muß, eh man ihn recht empfinden kann. Quintilian hielt es für ein Zeichen, daß ein junger Redner in seinen Studien fleissig gewesen, wenn er den Werken des Cicero Geschmack abgewonnen hatte; und Bachs Werke können zum Probiersteine dienen, ob ein junger Musikus Geschmack und Urtheil hat. Man hat seine Stücke beschuldigt, daß sie lang,[H 1] schwer, tiefsinnig und weit hergesucht wären. Ueber den ersten Punkt läßt sich nicht so viel für ihn sagen, als über die andern; dennoch läßt sich der Fehler entschuldigen: denn Länge wird in Deutschland von einer musikalischen Komposition so sehr erwartet, daß man einen Autor für arm an Ideen hält, der eher aufhört, bis er alles gesagt hat, was sich über sein Subjekt[H 2] sagen läßt.[H 3]

Leicht und Schwer sind relative Ausdrücke; das Wort, welches eine Person ohne Erziehung für schwer hält, kann für einen Gelehrten sehr gemein und ihm geläufig seyn. Die Werke unsers Verfassers sind nicht sowohl schwer zu spielen, als gehörig auszudrücken. Was das Tiefsinnige und Weithergesuchte anbetrift, so können

Anmerkungen (H)

  1. [312] Ueber die Länge der bachischen Stücke, kann man folgendes Experiment machen: Man nehme sein längstes Concert, aus der neu in Berlin bey Wintern gedruckten das dritte aus E dur, z. E. – man nehme die Tempo’s so langsam als möglich, mache die zwey Cadenzen jede etwa 4 bis 5 Tacktlängen – es dauert gerade 20 Minuten. Sollte man das Werk eines der ersten Genieen nicht so lange anhören können! Die arme Musik! Wer doch mit der Poesie so kurz wegkäme, [313] oder – mit diesen Reisen, und diesen Noten dazu! – Das Schlechte ist freylich zu lang, währte es auch nur eine Minute. Die Langeweile bey einem Stücke, muß wohl an etwas anderm, als an seiner Länge liegen.
  2. [313] Eine Wette von Drey gegen Zwey, Herr Dokter Burney, Bach weiß über seine bearbeiteten Subjekte noch was vorzubringen, daß des Hörens werth ist.
  3. Soll wohl abermals ein Vorwurf für die geduldigen Deutschen seyn! den man aber unbeantwortet hingehen lassen kann, es sey denn, daß jemand an die ewigen Rondeaux denken wollte, welche die Engländer itzt so ganz geduldig anhören.