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Wilhelm Busch: Ut ôler Welt. Volksmärchen, Sagen, Volkslieder und Reime

bekannt machen ließ, wer das Muttermal errathen könnte, das die Prinzessin an ihrem Leibe hätte, der sollte sie zur Gemahlin haben, er sei arm oder reich, hoch oder niedrig; wer aber käme und könnte es nicht errathen, der müßte den Kopf und dazu das Leben lassen. Da nun diese Kunde dem Schweinejungen zu Ohren kam, machte er sich alsbald auf den Heimweg, denn er gedachte das Räthsel zu lösen. Unterwegs gesellte sich ein Pfaff zu ihm, der fragte ihn wohin? und woher? und in was für Geschäften er wäre ausgegangen? »Ich will hin an den königlichen Hof,« entgegnete der Junge, »ob ich nicht das Muttermal der Prinzessin errathen kann.« Sprach der Pfaff: »Weißt du denn schon was davon, mein Sohn? Du möchtest sonst leichtlich darum den Kopf und dazu dein junges Leben verlieren.« »So recht weiß ich es noch nicht,« sagte der Junge, »aber soviel ist gewiß, die Prinzessin hat in der einen Seite drei Haare sitzen.« Als das der Pfaff vernahm, gedachte er, da er nun das Zeichen wußte, auch sein Heil zu versuchen und dem Jungen womöglich zuvorzukommen. »Ich bin in derselben Sache ausgegangen, wie du mein Sohn«, sprach er zu dem Jungen, »darum wollen wir den Weg zusammen gehen, so es dir recht ist.« Der Junge war es zufrieden, und sie gingen mit einander weiter, bis sie an den königlichen Hof kamen. Da ließen sie sich sogleich bei dem Könige anmelden, und als der vernahm, um welcher Sache willen sie gekommen waren, ließ er den Scharfrichter holen, der mußte sich mit dem blanken Schwerte bereit halten. »So!« sprach der König, »jetzt kann die Sache ihren Anfang nehmen. Zuerst kommt der Pfaff an die Reihe, wie billig ist, und dann der Schweinejunge. Also sagt an, Herr Pfaff! Welches ist das Zeichen, das meine Tochter an ihrem Leibe hat?« Der listige Pfaff, der sich schon freute, daß er zuerst an die Reihe kam, sprach schnell: »Drei Haare in der einen Seite!« »Ganz recht!« sprach der König; »aber, lieber Herr, in welcher Seite? und dann, wie lang sein sie? und wie dick sein sie? und wie sehn sie aus?« Da stand nun der Pfaff und ließ sein Maul hängen und wußte nicht, was er sagen sollte. »Höre mal Pfaff!« fuhr ihn der König an; »von Rechts wegen müßtest du jetzt einen Kopf kürzer gemacht werden; weil du aber doch etwas errathen hast, so soll dir für diesmal noch das Leben geschenkt sein!« Damit wandte er sich an den Schweinejungen und sprach: »Nun, mein Junge, jetzt rathe du! Welches ist das Zeichen, das meine Tochter an ihrem Leibe hat?« »Drei Haare in der einen Seite.« »Ganz recht, mein Sohn! Aber in welcher Seite?« »In der linken Seite.« »Richtig! Aber nun: wie lang sein sie? und wie dick sein sie? und wie sehen sie aus?« »Mit Verlaub Herr König, sie sind so lang und so dick wie Strickstöcke und sind, so wie mich dünkt, ganz golden.« »Richtig, mein Sohn,« rief da der König; »du hast es errathen und sollst nun auch die Prinzessin haben, und das von Rechts wegen.« So mußte der Pfaff beschämt seines Weges gehn; der Schweinejunge aber hielt Hochzeit mit der schönen Prinzessin.

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Wilhelm Busch: Ut ôler Welt. Volksmärchen, Sagen, Volkslieder und Reime. München: Lothar Joachim, 1910, Seite 106. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Busch_Ut_oler_Welt_106.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)