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in ausserordentlicher Schönheit ausgeführten Bleistiftzeichnungen viel zu hart“. Wenn ich deshalb auch „die Koch’schen Radirungen als möglichst vollkommene und ebenbürtige Nachbildungen der Originale“ nicht ansehen konnte, so musste ich doch zugleich deren „unzweifelhaften kunstgeschichtlichen Werth sowohl in Hinsicht auf Carstens wie auch auf Koch“ mit Nachdruck hervorheben[1]. In der letzteren Thatsache liegt die eigentliche Begründung und wahre Rechtfertigung unseres gegenwärtigen Beginnens, und wir hoffen mit Zuversicht, dem Freunde der neueren deutschen Kunst in diesem Werke eine willkommene Gabe zu bieten, wenn wir auch anerkennen, dass ein Neustich nach den Originalen selbst die Carstens’schen Argonautenblätter in noch grösserer Treue und Reinheit wiedergeben könnte.

Man war lange der Ansicht, dass Koch beim Stich der Carstens’schen Zeichnungen in den landschaftlichen Theilen viel Eigenes hinzugethan habe, und Andresen berichtete sogar wie von einer feststehenden Thatsache, dass „die landschaftlichen Hintergründe zum Theil von Koch hinzugefügt“ worden seien[2]. Man schrieb deshalb die seltene Schönheit der Landschaft, wie sie in den Radirungen vorlag, Koch, dem bewährten Meister der Landschaftsmalerei, zu. Indessen liegt die Sache doch ganz anders. Denn nicht Carstens als Landschafter wurde durch Koch ergänzt, sondern Koch als Landschafter erhielt durch Carstens Richtung und Weg gewiesen, auf denen er gross und epochemachend wurde. Das beweisen die Originalzeichnungen, verglichen mit den Stichen. Mehrere Blätter, namentlich die Nummern 16, 19, 20, 21 und 23, sind bei Carstens bereits so fertig ausgeführt, dass Koch dieselben nur genau nachzumachen brauchte, und dies auch wirklich gethan hat. Einige andere, wie die Nummern 7 bis einschliesslich 14, 17, 18 und 22, sind von Carstens vollkommen angelegt, aber besonders im Baumschlag noch etwas skizzenhaft gehalten, so dass Koch, bei genauer Innehaltung der Gesammtanlage und deren einzelner Theile, nur Einzelheiten, namentlich in den Bäumen, mehr auszuführen hatte. Das Blatt 3, welches bei Carstens nur ganz leicht gehalten ist, ist von Koch fertig gemacht worden, doch ohne wesentlich neue Gedanken hinzu zu thun. Bei einigen andern Blättern ist der landschaftliche Theil nur gering, einige andere stellen Innenräume dar. Blatt 2 in der Folge der Originale ist unecht[3]. Koch hat also nichts wesentlich Neues und Eigenes hinzugethan, sondern das Werk von Carstens nur da, wo es nöthig war, unter engster Anlehnung an das Vorhandene fertig gemacht. Carstens ist und bleibt auch für die landschaftlichen Theile seiner Zeichnungen vollkommen der selbständige Erfinder, als welcher er für die figürlichen Theile stets angesehen worden ist; der Charakter beider Theile, des landschaftlichen und des figürlichen, in jeder einzelnen Darstellung hat er in genauer Uebereinstimmung zu halten gewusst. Auch sagt Fernow ausdrücklich, mit Bezug auf die römische Zeit des Meisters, dass Carstens „selbst die perspektivischen Gründe seiner Bilder zu zeichnen wusste“[4]. Durch diese Urheberschaft in Bezug auf die landschaftlichen Hintergründe seines Argonautenwerkes kommt Carstens auch eine grundlegende Bedeutung für die neuere deutsche Landschaftsmalerei zu, indem er eben Joseph Koch nach der Richtung, durch deren Pflege dieser epochemachend wirkte, maassgebend beeinflusst hat, wie ich das auch schon in anderweitigem Zusammenhange hervorgehoben habe[5].

Das Argonautenwerk in seiner Gesammtheit muss als die reifste und bedeutendste Frucht der Carstens’schen Kunstthätigkeit angesehen werden. Aber die Eigenschaften und Vorzüge desselben schildern, darlegen und zergliedern, hiesse eine Beurtheilung der Carstens’schen Kunst überhaupt geben, wozu hier doch nicht der Ort sein kann. Wenn in zahlreichen andern Arbeiten des Meisters der stylistische Charakter, sowie die strenge aber freie und selbständige Anlehnung an die klassischen Vorbilder ebenso, und hie oder da vielleicht noch bestimmter, wahrgenommen werden kann, so lässt doch vor allen andern Werken die Folge des Argonautenzuges die Vielgestaltigkeit der Phantasie, die sichere Auswahl aus dem überreichen Stoffe und die klare sachliche Auffassung jedes einzelnen Gegenstandes seitens des Künstlers erkennen. Auch spricht aus dieser Folge ganz vorzugsweise, wie schon bemerkt, die Fähigkeit und Bedeutung von Carstens hinsichtlich der Landschafterei, so dass denn der Argonautenzug das Künstlerwerk des Meisters in ebenso glänzender als bezeichnender Weise in sich abrundet und schliesst.


  1. In meinen „Carstensiana“ (Kunstgeschichtliche Vorträge und Aufsätze. Braunschweig, 1877), S. 135 und 136.
  2. Die deutschen Maler-Radir. I. (Leipzig, 1866.), S. 33.
  3. Vergleiche die erwähnten kunstgeschichtlichen Vorträge und Aufsätze. S. 196.
  4. In meiner mehr genannten Ausgabe des Fernow. S. 182.
  5. In meiner „Geschichte des Wiederauflebens der deutschen Kunst u. s. w.“ (Hannover, 1876), S. 112.
Empfohlene Zitierweise:
Herman Riegel (Hrsg.): Carstens Werke. Dritter Band: Der Argonautenzug. Alphons Dürr, Leipzig 1884, Seite 3. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Carstens_Werke_3._Band_Argonautenzug.pdf/11&oldid=- (Version vom 14.2.2021)