Seite:Christliche Symbolik (Menzel) II 067.jpg

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Eben so sinnig wird das berühmte noli me tangere gedeutet. Das Judenthum besass den Heiland im Fleisch und erkannte ihn nicht, das Heidenthum stand ihm fremd und erkannte ihn. Indem aber das Heidenthum sich mit voller Liebe dem Christenthum hingab, war es im Begriff, unwillkührlich dem mächtigen alten Zug des Sinnlichen, der in ihm lag, zu folgen, und das wehrt Christus ab, indem er als Gärtner der freudig überraschten Magdalena zuruft: „Rühre mich nicht an!“ S. 177. Herr Clarus hätte an dieser Stelle vielleicht etwas mehr Gewicht in die sinnliche Seite des Heidenthums überhaupt legen sollen.

Unter allen weiblichen Heiligen ist wohl die Magdalena, nächst der Madonna, am häufigsten gemalt worden. Welchen Einfluss dabei auch die Erbauung gehabt hat, so haben doch die Künstler häufig genug nur die anständige Gelegenheit benützt, um eine schöne Nudität zu malen, und auch die Kunstkenner haben sich häufiger in das schöne Fleisch berühmter Magdalenenbilder vergafft, als den Geist der Bilder beurtheilt. Gewissermassen steht Magdalena zwischen der Eva und Madonna. Sie ist eine Eva, die zur Madonna wird. In ihrem Bilde wird daher der Stoff von der Eva, der Geist von der Madonna genommen. Deshalb haben viele Maler die Magdalena nackt, blond, in sinnlicher Schönheit wie die Eva im Paradiese gemalt, nur mit reuigem und schmerzlichem oder begeistertem Ausdruck. In ähnlicher Weise, wie in Johannes dem Täufer Adam auf höhere Potenz erhoben ist, nur mit männlich kräftigem Selbstbewusstseyn muthig vorwärts blickend, wo Magdalena reuig rückwärts blickt. Eine Symbolik dieser Art scheint den Künstlern allerdings vorgeschwebt zu haben. Aber ihre eigentliche Absicht war, schönes Fleisch zu malen und sich deshalb bewundern zu lassen. Nur in zu vielen Magdalenenbildern liegt Sinnenreiz und Verführung. In diesen und vielen andern, z. B. den Sebastiansbildern, machte sich ein Bestreben der christlichen Künstler geltend, dem antik Heidnischen in Darstellungen nackter Leibesschönheit nachzukommen. Das widerspricht

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Wolfgang Menzel: Christliche Symbolik. Zweiter Theil. G. Joseph Manz, Regensburg 1854, Seite 67. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Christliche_Symbolik_(Menzel)_II_067.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2022)