Seite:Christliche Symbolik (Menzel) II 082.jpg

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empfangen, ferner die Wunder, welche die Vestalinnen Aemilia, Claudia und Tuccia in Kraft ihrer Jungfräulichkeit ausgerichtet, ja sogar die Danae, die durch Zeus im goldnen Regen befruchtet worden, ohne Scheu auf die heilige Jungfrau zu beziehen. Auch die gelehrten Jesuiten des 16ten und 17ten Jahrhunderts haben sich nicht immer fern gehalten von so unpassenden Vergleichungen, indem sie in ihren grossen, zu Ehren Maria’s niedergeschriebenen Sammelwerken mehr auf Fülle des Stoffs, als auf Reinheit desselben Bedacht nahmen. Weniger anstössig und sinnreicher sind folgende Symbole: die Perle, die in der Muschel entsteht, indem ein Tröpfchen Thau vom Himmel in sie fällt, wenn sie über dem Wasser sich öffnet, während alle Tropfen im unendlichen Meer die Perle zu erzeugen nicht vermöchten; das Einhorn, welches allen Jägern widersteht und sich nur von einer reinen Jungfrau fangen lässt; die Palme, die zugleich Früchte trägt und doch immer noch blüht; der Regenbogen, der mitten im Regen unverletzt bleibt; der Spiegel, der das Bild aufnimmt, ohne irgend verletzt zu werden.

Uebrigens behalten die Gegensätze, auf deren Vereinigung es ankam, auch in ihrer Trennung eine gewisse Berechtigung, indem Maria in vielen Situationen ihres Lebens nothwendig vorzugsweise als Jungfrau, in andern als Mutter aufzufassen war, und andrerseits der Dogmenstreit zu Extremen führte, die einander gegenseitig einschränken mussten. Wie schon früher aus dem Kampf gegen die Gnosis, die alle concreten Gestalten der heiligen Geschichte in Dämonen verflüchtigte, eine Neigung hervorging, die menschliche Natur in Christo vorwiegen zu lassen, was denn auch die Auffassung der heiligen Jungfrau mitbetraf, so führten auch noch später im Mittelalter die vielfach widrigen und bis zur Unanständigkeit prozessmässigen Zänkereien über die unbefleckte Empfängniss in der Kirchenmalerei zwei entgegengesetzte Richtungen herbei, wovon die eine vorzugsweise die Gottesmutter, die andere eine Menschenmutter darzustellen liebte.

Das Extrem der einen Richtung tritt in der gnostischen

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Wolfgang Menzel: Christliche Symbolik. Zweiter Theil. G. Joseph Manz, Regensburg 1854, Seite 82. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Christliche_Symbolik_(Menzel)_II_082.jpg&oldid=- (Version vom 19.11.2022)