Seite:Christliche Symbolik (Menzel) II 084.jpg

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ist es die Schlange, der Maria’s Fuss den Kopf zertritt. Bilder Maria’s, die auf die Schlange oder den Drachen tritt, waren im Mittelalter sehr beliebt und immer als Gegenbilder zum Sündenfall. Maria besiegte die alte Schlange aber nur durch den von ihr Gebornen. Sie ist keine Amazone, sondern die Magd des Herrn. Das wird sehr klar und sinnreich vorbedeutet beim Propheten Micha 4, 10. und in der Offenbarung Johannis 12, 1 f. Das Weib, dessen Gewand die Sonne ist, unter deren Füssen der Mond liegt, dem die Sterne sich zur Krone zusammenfügen, liegt gleichwohl, indem sie den Messias gebären soll, in Angst und Noth vor dem entsetzlichen Drachen und muss vom Erzengel Michael beschützt werden, bis zwei Adlerflügel sie entrücken.

Ohne also der hohen Würde der Jungfrau irgend zu nahe zu treten, ist es schriftmässiger und kirchlicher, das passive Element in ihrer Wesenheit festzuhalten. Sofern es gestattet war, den Begriff zu verallgemeinern, konnte man in ihr gleichsam die gesammte Kirche, oder die Menschheit als christliche Gemeinde personificirt sehen in ihrem Verhältniss zu den höchsten göttlichen Personen. Insofern fand auf sie Anwendung, was durch die Propheten von Zion, der Braut Jehova’s, geweissagt ist. Die Menschheit wird als Braut Gottes zum Göttlichen erhoben, wie die Gottheit als Menschensohn niedersteigt zu den Menschen. Maria wird zum vergötterten Menschen, wie Christus zum vermenschlichten Gotte. Wenn aber das Menschliche zu so hoher Würde gelangen soll, kann es nur geschehen durch Demuth und Liebe, und sich nur äussern in Fürbitte und Gnade. Es kann in dieser seiner Erhebung den weiblichen Charakter niemals verlieren. Es ist und bleibt das Untergeordnete, Passive, das nur seiner reinen Unschuld wegen gewürdigt wird, dem Höchsten sich zu nahen. Insofern ist den Künstlern oft Maria übergegangen in den Begriff der Religion, des Glaubens, der Gottesminne überhaupt, so wie der ecclesia. Vgl. Kunstblatt 1837, S. 167, wo eines Bildes von Signol gedacht wird, in welchem die Religion am Grabe Christi nichts anderes

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Wolfgang Menzel: Christliche Symbolik. Zweiter Theil. G. Joseph Manz, Regensburg 1854, Seite 84. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Christliche_Symbolik_(Menzel)_II_084.jpg&oldid=- (Version vom 19.11.2022)