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Folgendes: In der Nacht, in welcher Judas erzeugt wurde, hatte Liboria, seine Mutter, so ängstliche Träume und eine solche Furcht befiel sie, dass sie zu ihrem Manne Ruben sagte, wenn sie einen Sohn bekäme, würde sie ihr ganzes Leben lang traurig bleiben. Er wollte es ihr ausreden; als sie aber wirklich den Judas gebar, entsetzte sich auch der Vater selbst vor seinem Anblick. Beide Eltern beschlossen, dieses schreckliche Kind von sich zu thun, und setzten es in einem kleinen Kasten in’s Wasser. Es schwamm zur Insel Scharioth. Hier fand es die Königin, die längst sich ein Kind gewünscht hatte, gab es für das ihrige aus und erzog es fürstlich. Nachher bekam sie selbst noch einen Sohn und bereute bitterlich, den Judas angenommen zu haben, denn dieser plagte ihren eigenen Sohn auf alle Art, und als sie ihm einmal im Zorne sagte, dass er nicht ihr Sohn, sondern nur ein Findelkind sey, brach die ganze Teufelsgewalt in ihm hervor und er erschlug den Sohn der Königin. Darauf entfloh er und nahm Dienste beim Pilatus. Da sah Pilatus einmal reife Aepfel in Rubens Garten und wünschte davon. Judas stieg über den Zaun, holte die Aepfel und schlug seinen Vater, der es wehren wollte, todt, nahm aber nachher seine eigne Mutter zur Frau. Als beide erkannten, wer sie seyen, rieth die fromme Mutter dem gottlosen Sohne, sich um Trost an Jesum zu wenden, der damals aufgetreten war, und so wurde Judas Jesu Jünger, um ihn zu verrathen. Das Uebrige nach der heiligen Schrift.

Pater Abraham a St. Clara hat in seinem humoristischen Werke über „Judas den Erzschelm“ diese Legende benutzt. Sie findet sich auch in einem lateinischen Gedicht des Mittelalters, abgedruckt in Mone’s Anz. VII. 532. Hier heisst die Mutter Cyborra.

Schon sehr früh bildete sich die Sage aus, Pilatus habe sich aus Verzweiflung selbst umgebracht. Euseb. II. 7. Orosius hist. VII. 5. Freculfi chron. II. 1. 12. Vgl. Mone, Anzeiger 1835, S. 422. Wie die Sage nach Gallien hinübergeleitet wird, zeigt am besten das chron. S. Aegidii in Leibnit.

Empfohlene Zitierweise:
Wolfgang Menzel: Christliche Symbolik. Zweiter Theil. G. Joseph Manz, Regensburg 1854, Seite 233. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Christliche_Symbolik_(Menzel)_II_233.jpg&oldid=- (Version vom 19.3.2023)