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Schenkungen.

Nehmen, rauben, erobern war das Princip der grossen Weltreiche im alten Heidenthum; Festhalten war das Princip des Judenthums; Geben wurde erst das Princip des Christenthums. Gott selbst gab sich den Menschen hin, und Alle, die Christo nachahmen, müssen den Vorschmack der Seligkeit schon auf Erden im Geben finden. „Geben ist seliger als nehmen. — Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.“ Wem Gott gegeben, der gebe wieder seinem Nächsten, denn wir sind nicht Eigenthümer, nur Verwalter im Namen des ewigen Gebers. Daher vom Anfang der Kirche an das unablässige Ausströmen aus ihr von geistigen und leiblichen Wohlthaten für die Bedürftigen. Daher die Wechselwirkung, die Schenkungen an die Kirche, um wieder durch die Kirche die wirksamste Anwendung zu finden. Daher die unzählbaren Heiligen und Frommen, die Alles, was sie hatten, den Armen gaben. Daher endlich der hohe Werth, der schon im Evangelio auf das Scherflein auch der ärmsten Wittwe gelegt wird. Denn das Kleinste, was die freie Liebe gibt, ist mehr werth, als viel, was ungern gegeben wird.

In keiner Legende ist der innere Liebesdrang, der da geben möchte und nicht hat, die Seligkeit des Gebens bei der bittersten Armuth, naiver und lebendiger aufgefasst, als in der Legende der heiligen Zitta. Sie war eine Magd in Lucca, verrichtete die schwersten Arbeiten, lebte hart, wurde wegen ihrer Einfalt oft ausgelacht, war aber eine grosse Heilige. Sie schöpfte aus einem Brunnen für einen Armen Wein statt Wasser. Sie gab von ihres Herrn Vorräthen den Armen, und die Vorräthe blieben doch dieselben. Sie verschenkte sogar ihres Herrn Rock, und der Rock fand sich wieder. Für jeden Missethäter, der hingerichtet wurde, betete sie drei Tage lang. Sie starb am 27. April 1272.

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Wolfgang Menzel: Christliche Symbolik. Zweiter Theil. G. Joseph Manz, Regensburg 1854, Seite 319. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Christliche_Symbolik_(Menzel)_II_319.jpg&oldid=- (Version vom 19.12.2022)