Seite:Christliche Symbolik (Menzel) II 384.jpg

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mit Vogelfüssen, jedoch seltener und nur in alten französischen Kirchen, wo antiker Einfluss sie erklärt, z. B. in St. Denys und Rouen. Lenoir, Monum. de la France, pl. 28. Langlois, stalles de la cathedr. de Rouen, pl. 9, 10, 11.

Im frühern Mittelalter kommt auch eine ganz andere Deutung des Sirenensinnbildes vor. Man findet namentlich auf Taufbecken die fischschwänzige Sirene mit Delphinen gesellt. Rathgeber, Gothaisches Museum S. 303. Auf Grabbildern der Katakomben Seepferde mit Fischschwänzen. Bellermann, Katakomben von Neapel, Tab. 3. 4. Das entspricht vollkommen dem antiken Todtencultus, in welchem Delphinen und Tritonen als Sinnbilder einer glücklichen Hinüberfahrt der Seele über den Styx nach Elysium galten. Diese alte Symbolik aber traf zusammen mit den specifisch christlichen Vorstellungsweisen von Christo, dem Seelenfischer, und vom heiligen Element der Taufe. Demnach kann die Sirene auf Taufbecken und das Seepferd auf christlichen Gräbern auch nicht mehr auf die Verführung durch Sinnenlust Bezug haben, sondern nur noch auf die Wiedergeburt durch die heilige Taufe und auf die Hoffnung der Auferstehung. Der nämlichen Symbolik entspricht die fischschwänzige Sirene mit einem Jungen, welches sie säugt, im Münster zu Basel, desgleichen im Münster zu Freiburg im Breisgau. Vgl. Waagen, Kunst in Deutschland II. 255. Püttmann, Kunstschätze S. 100. Oefter hält die Sirene in Kirchen einen Fisch in der Hand. Nach Piper, christl. Mythologie I. 390, „liegt es nahe, diesen Fisch für das Bild der Seele zu nehmen, die, von den Wogen der Welt umhergetrieben, von der Sirene sich hat fangen lassen.“ Dies ist aber keine gute Auslegung. Kreuser (Kirchenbau II. 46.) hat viel mehr Recht, indem er das Sinnbild auf die Wiedergeburt durch die Taufe bezieht. Diese Erklärung erhält eine weitere Bestätigung durch die Bilder in Basel und Freiburg, auf denen der ihr Junges säugenden Sirene ein Ritter, der mit einem Greifen und andern Ungeheuern kämpft, gegenübersteht, und durch ein Bild der Sirene im Münster zu Zürich, der ein menschenverschlingender

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Wolfgang Menzel: Christliche Symbolik. Zweiter Theil. G. Joseph Manz, Regensburg 1854, Seite 384. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Christliche_Symbolik_(Menzel)_II_384.jpg&oldid=- (Version vom 25.1.2023)