Seite:Christliche Symbolik (Menzel) II 543.jpg

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himmelverwandten Adels unter der an der irdischen Scholle klebenden Gemeinheit. Schon die Juden verglichen sich als Volk Gottes mit dem Wein; später wurde das Sinnbild ausschliesslich dem Christenthum vindicirt. Der heidnische Weincultus in den Dionysusmysterien lässt nur sehr entfernte Beziehungen auf die jüdische und christliche Symbolik zu. Allerdings sahen auch die heidnischen Griechen im Wein etwas Göttliches, aber nicht als Sinnbild einer höheren geistigen Kraft, sondern als unmittelbar begeisternden oder mit dem Gott erfüllenden Trank.

Die Juden, die sich von der Gottheit kein Bild machten und den Naturdienst verachteten, ehrten gleichwohl die Rebe als ein heiliges Symbol. Ist gleich die goldne Rebe, welche die Römer (nach Tacitus) im Tempel zu Jerusalem fanden, erst spät vom König Herodes dahin gestiftet worden und mögen die Trauben von violetten Edelsteinen (Amethysten) an Salomons Thron auch nur Dichtung seyn, so erhellt doch aus vielen Stellen des alten Testamentes, dass die Rebe wirklich in hoher Achtung bei den Hebräern stand. Sie erscheint zum erstenmal unmittelbar nach der Sündfluth. Jehovah gibt den Menschen gleichsam zum Ersatz für das Uebel, das er ihnen durch das Wasser zugefügt hat, den Wein. Als eine ganz neue Naturerscheinung steht der Wein in Verbindung mit dem Regenbogen, der ebenfalls vor der Sündfluth noch niemals gesehen worden war. Und beide sind Pfänder der göttlichen Gnade, Bundeszeichen zwischen Gott und den Menschen.

Die Juden sahen im Weinstock ein Sinnbild ihres eigenen auserwählten Volkes. Wie die Rebe vor allen Pflanzen, so sollte das Volk Gottes vor allen Völkern ausgezeichnet seyn, ein kleines, niederes, kriechendes Gewächs, und doch unter allen das edelste. Zwar scheint zunächst das Land, der Grund und Boden, das Eigenthum und Haus durch das Sinnbild des Weinstocks bezeichnet. Josua und Kaleb, die in das gelobte Land vorausgehen, bringen aus demselben die riesengrosse Traube, die sie an einer Stange auf den Schultern

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Wolfgang Menzel: Christliche Symbolik. Zweiter Theil. G. Joseph Manz, Regensburg 1854, Seite 543. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Christliche_Symbolik_(Menzel)_II_543.jpg&oldid=- (Version vom 1.3.2023)