Seite:Christliche Symbolik (Menzel) II 544.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

tragen müssen, als ein Sinnbild des segensreichen Landes mit. Der Prophet Micha sagt: „Jeder wird unter seinem Weinstock wohnen“ (der das Haus rings umrankt). Der Segensspruch: „Ein Weinstock soll vor deiner Thüre wachsen!“ ist noch jetzt unter den Juden üblich. Psalm 128, 3. wird unter dem das Haus umrankenden Weinstock insbesondere die Frau verstanden. Doch dachte man sich unter dem Sinnbild hauptsächlich das heilige Volk selbst, sofern es in seiner Niedrigkeit erhöht werden soll.

Schön ist der Triumph des Weinstocks nach jüdischer Tradition von Herder dargestellt: „Am Tage der Schöpfung rühmten die Bäume gegen einander, frohlockend ein jeglicher über sich selbst. „Mich hat der Herr gepflanzt,“ so sprach die erhabene Ceder; „Festigkeit und Wohlgeruch, Dauer und Stärke hat er in mir vereint.“ „Jehovahs Huld hat mich zum Segen gesetzt,“ so sprach der umschattende Palmbaum; „Nutzen und Schönheit hat er in mir vermählt.“ Der Apfelbaum sprach: „Wie ein Bräutigam unter den Jünglingen, prange ich unter den Bäumen des Paradieses.“ Und die Myrthe sprach: „Wie unter den Dornen die Rose, stehe ich unter meinen Geschwistern, dem niedrigen Gesträuch.“ So rühmten Alle, der Oel- und Feigenbaum, selbst die Fichte und Tanne rühmten sich. — Der einzige Weinstock schwieg und sank zu Boden. „Mir,“ sprach er zu sich selbst, „scheint Alles versagt zu seyn, Stamm und Aeste, Blüthen und Frucht; aber so, wie ich bin, will ich noch hoffen und warten.“ Er sank darnieder, und seine Zweige weinten. Nicht lange wartete und weinte er; siehe da trat die Gottheit der Erde, der freundliche Mensch zu ihm. Er sah ein schwaches Gewächs, ein Spiel der Lüfte, das unter sich sank und Hülfe begehrte. Mitleidig richtete er’s auf und schlang den zarten Baum an seine Laube. Froher spielten anjetzt die Lüfte mit seinen Reben, die Gluth der Sonne durchdrang ihre harten, grünenden Körner, bereitend in ihnen den süssen Saft, den Trank für Götter und Menschen. Mit reichen Trauben geschmückt neigte bald der Weinstock sich zu seinem Herrn

Empfohlene Zitierweise:
Wolfgang Menzel: Christliche Symbolik. Zweiter Theil. G. Joseph Manz, Regensburg 1854, Seite 544. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Christliche_Symbolik_(Menzel)_II_544.jpg&oldid=- (Version vom 1.3.2023)