Seite:Christliche Symbolik (Menzel) II 559.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Täufers vom Winde verweht, eine Bewegung, die sich für den Himmel und für die Ruhe des Gerichts nicht schickt. — Maria hat die Apostel zur Seite, wie der Täufer auf der andern Seite die Propheten. Maria führt den Zug der aufsteigenden Seligen an oder weist auf sie hin, empfiehlt sie der Gnade des Sohnes. Im Mittelalter deuteten die Maler den Himmel oder das neue Jerusalem auf der rechten Seite des Bildes, wie auf der linken die Hölle ausdrücklich an. Bald als eine Stadt, bald nur als einen Tempel, bald als eine Sonne (im Ulmer Münster). Auf dem Danziger Weltgericht empfangen die nackten Auferstandenen auf der rechten Seite des Bildes von Engeln weisse Kleider. Die alten Maler, welche die Seligen in naiver und demüthiger Freude malten, thaten am besten. Die Neuern, legen oft zu viel Prätension in sie hinein, oder denken nur daran, hübsche nackte Figuren zu gruppiren. Auf dem berühmten, durchaus im antiken Geist aufgefassten Weltgericht des Michel Angelo entbehren die Seligen jenes specifisch christlichen Ausdrucks von Heiligkeit und inniger Andacht, ohne den man sie sich gar nicht vorstellen kann. Die Martyrer zeigen ihre Wunden vor, wie rebellische Prätorianer, die Lohn erzwingen wollen. Noch grob sinnlicher als hübsche Fleischmassen sind sie im Weltgericht von Rubens gemalt. Cornelius, dem man nachsagt, er habe in seinem Bild in der Münchner Ludwigskirche den Michel Angelo nur raphaelisiren wollen, zeigt in seinen Seligen eine zu wehmüthige, kühle Sentimentalität, die in ihrer Anständigkeit doch zu sehr die innige Wonne vermissen lässt. Da ist die kindliche Einfalt der Seligen bei Fiesole doch ansprechender. Am wenigsten sind die modernen Auffassungen zu billigen, in denen Privat- und Familieninteressen vorangestellt und selige Gruppen gemalt werden, die das frohe Wiedersehen von Verwandten und irdischen Geliebten ausdrücken. Man darf im Himmel nicht blos die Erde wiederfinden wollen.

Auf der linken oder Schwertseite des Richters steht Johannes der Täufer mit den Propheten und Patriarchen,

Empfohlene Zitierweise:
Wolfgang Menzel: Christliche Symbolik. Zweiter Theil. G. Joseph Manz, Regensburg 1854, Seite 559. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Christliche_Symbolik_(Menzel)_II_559.jpg&oldid=- (Version vom 3.4.2023)