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zu seyn, den das antike Heidenthum über die Welt ausübte und seit der Wiederaufnahme classischer Studien auf’s Neue ausübt, als der alt- wie neutestamentalischen Gottesfurcht gefährlichster Feind.

Ueber die Auffassung des Antichrist im Mittelalter vgl. Grässe, Literärgeschichte II. 1. 149 f. und Grimm, deutsche Mythol. 771. Wenn die Deutschen ihren altheidnischen Surtur, der am Ende der Zeiten mit dem feurigen Heere vom Himmel kommen soll, auf den Antichrist bezogen haben, so ist dies nur insofern möglich gewesen, als die Neubekehrten auch in dem guten Wesen des Heidenthums etwas Teuflisches sahen; denn, ursprünglich im Heidenthum selbst hatte Surtur nur das Amt eines himmlischen Rächers, und gleicht vielmehr dem Engel Michael, als dem Widerchrist. – In dem altdeutschen Gedicht bei Haupt, Zeitschr. VI. 372. wird der Antichrist vom Feinde (Teufel) mit einem Weibe übernatürlich gezeugt zu Babylon, im Centro der widerchristlichen Welt, geboren wie Christus zu Bethlehem, gibt sich dann selbst für Christus aus und wird von den Juden für ihren längst erwarteten Messias gehalten etc. Nach dem altdeutschen Renner 5100 wird der Antichrist alle Schätze heben, die bisher unbekannt in der Erde verborgen waren, und damit seine Getreuen bezahlen.

In dem altfranzösischen Gedicht des Huon de Meri aus dem 13ten Jahrhundert: Le tournoiement (Turnier) de l’ Antichriste (vgl. hist. lit. de la France XVIII. 801.) erscheint der Antichrist als ein mächtiger Fürst, der in seinem Heeresgefolge nicht nur alle heidnischen Götter, sondern auch alle personificirten Laster hat. Auf der andern Seite streitet Christus, dem alle Tugenden die Heeresfolge leisten. Aber der Kampf ist schwierig; der Antichrist erringt bedeutende Vortheile; namentlich unterliegt la virginité, die für Christum streitende Amazone, dem Angriffe der Venus und des Amor. Doch zuletzt legt sich Gott selbst in’s Mittel und lässt den Antichrist durch den Erzengel Michael fesseln. Das ist das alte Vorbild zu Parnys berüchtigter Guerre des dieux.

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Wolfgang Menzel: Christliche Symbolik. Erster Theil. G. Joseph Manz, Regensburg 1854, Seite 66. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Christliche_Symbolik_(Menzel)_I_066.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)