Seite:Christliche Symbolik (Menzel) I 196.jpg

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Jahrhunderten der Christenheit malte man das Leiden Christi nur symbolisch, nie ihn selbst am Kreuze. Man stellte nur das Lamm als Sinnbild des sich selbst zum Opfer bringenden Heilands unter das Kreuz. Erst im 8ten Jahrhundert kamen die förmlichen Crucifixe auf; allein anfangs immer noch im Dienst der Symbolik und noch nicht mit dem Anspruch der Portraits. Christus erschien stets im langen Gewande, nicht angenagelt, vielmehr mit gen Himmel erhobenen Händen betend und mit heiterem Angesicht. Auch das Kreuz wurde symbolisch als Baum aufgefasst, daher grün gemalt. Nach und nach fand sich die Annagelung ein, jedoch blieben beide Füsse nebeneinander gestellt, nicht übereinander gelegt, und trugen daher keine Nägel. Auch der Rock wurde kürzer. Endlich fand sich mit dem Uebereinanderlegen der Füsse an einen Nagel auch die völlige Entkleidung bis auf ein Tuch ein, das noch die Hüfte bedeckte. Zu dieser Neuerung trugen die Franziskaner am meisten bei, deren Lieblingsheilige Brigitta den Heiland am Kreuz in einer Vision nur mit dem Hüfttuch bedeckt erblickte. S. Brigittae revel. 70. Vgl. Molani, hist. imag. 389. Damit der entblösste Leib nicht anstössig werde, legte man in ihn den Ausdruck des höchsten Leidens und bildete ihn nicht selten sogar hässlich in der abschreckenden Magerkeit und Krümmung seines Leibes. Vgl. Didron, icon. p. 266. Waagen, Paris 205. – Ein volksthümliches Gefühl, welches an der Nacktheit der Crucifixe Anstoss nahm, verräth sich in der schönen Sitte des Landvolks am Glockner, ein bei Heiligenblut hoch im Gebirg aufgerichtetes Crucifix mit Kleidern zu behängen, die von Armen und Bedürftigen benützt werden.

Wo auch das Crucifix steht, soll es von Osten nach Westen gewendet stehen; von ihm geht alle Orientirung in der Kirche aus. Kreuser, Kirchenbau II. 51. Christus am Kreuze war gegen Westen gewendet. Joh. Damasc. fid. orth. 4, 13. Adrichomius, Theatr. terrae sanctae 178. Sedulius bei Beda, carm. 5. Luc. 22. Hofmann, Apokr. 376. Der Kreuzesstamm, der jetzt als von rohen Balken gezimmert erscheint,

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Wolfgang Menzel: Christliche Symbolik. Erster Theil. G. Joseph Manz, Regensburg 1854, Seite 196. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Christliche_Symbolik_(Menzel)_I_196.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)