Seite:Christliche Symbolik (Menzel) I 322.jpg

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Weltkugel in der Hand, über deren Wasser die Taube schwebt, daselbst p. 511. Auf einem andern schwimmt der heilige Geist als kleines Kind mit dem Kreuznimbus auf dem Wasser, während Gott Vater in zwei grosse weisse und schwarze Kugeln Licht und Finsterniss scheidet, daselbst p. 482. Hier ist der Geist als Seele gedacht, denn gewöhnlich stellte man im Mittelalter die vom Körper getrennte Seele des Ungebornen oder schon Gestorbenen als kleines geschlechtsloses Kind dar.

Beide Sinnbilder, die Taube und das Kind, erscheinen auseinandergehalten auf Bildern der Empfängniss. Von der Taube geht ein Strahl aus, bis zur heiligen Jungfrau, in der Mitte des Strahls aber schwebt ein kleines Kind, d. i. die Seele des noch ungebornen Messias. Das Mittelalter, dem diese Symbolik noch verständlich und geläufig war, fasste diese Gattung von Bildern keineswegs so grobsinnlich auf, als die moderne Aufklärung.

Die Ausgiessung des heiligen Geistes zu Pfingsten, nachdem Christus gen Himmel gefahren, ist das Erbe, welches er seinen Jüngern zurückliess, und das Gegenbild zum babylonischen Thurmbau. Wie dort die Einheit des menschlichen Geschlechts zerspalten und seine Sprache verwirrt wurde, so wird hier die Menschheit im heiligen Geist wieder einig und Jeder versteht wieder die Sprache des Andern; es beginnt gleichsam eine neue Schöpfung. Wie der heilige Geist im Anbeginn über den Wassern der materiellen Welt schwebte, so schwebt er zu Pfingsten über dem Völkermeere, und wie er dort das erste Paradies schuf, in dem alle Naturkräfte harmonisch zusammenwirkten, so schafft er jetzt das neue Jerusalem im Geist. Auch ist die Ausgiessung des heiligen Geistes Gegenbild der Gesetzesertheilung auf dem Berge Sinai. Wie Moses das alte Gesetz vom Himmel empfing, so lässt sich jetzt der heilige Geist des neuen Bundes auf die Jünger nieder. Dieser Gegensatz erhält eine eigenthümliche Schönheit dadurch, dass das alte Gesetz vom Sinai nur unter Donner und Blitz und unter dem Zagen des Volkes

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Wolfgang Menzel: Christliche Symbolik. Erster Theil. G. Joseph Manz, Regensburg 1854, Seite 322. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Christliche_Symbolik_(Menzel)_I_322.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2022)