Seite:Christliche Symbolik (Menzel) I 378.jpg

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Nimbus. Indem die Maler sich vom Herkommen der Kirche entfernten, liessen sie häufig jenen Nimbus weg, und schmeichelten sich, aus eignem Kunstgenie durch die Vortrefflichkeit von sogenannten Charakterköpfen ihre Heiligen genugsam zu bezeichnen. Allein sie hätten der ehrwürdigen alten Regel wohl treu bleiben dürfen. In die Charakterköpfe und Charaktergestalten der Heiligen hat die Künstlergenialität nur zu oft unheilige, dem Geist der Kirche ganz fremde, nur vom Theater geborgte Effekte hineingelegt, falsches, anmassliches Pathos in die männlichen, Koketterie in die weiblichen Bildnisse. Die fromme Pflicht, Heilige für die Andacht der Gläubigen, würdig des Platzes in der Kirche Gottes, darzustellen, wurde und wird nur zu oft verabsäumt. Alle jene weltliche Unruhe und Leidenschaft, gegen welche die Kirche mit ihrem ewigen heiligen Frieden wirken soll, sind durch die manierirten Heiligenbilder in die Kirche eingeschmuggelt worden. Wer kennt nicht jene Kirchenplafonds, auf denen ein Gewirr von heiligen Armen und Beinen nach allen Richtungen, in der gewaltsamsten und unnatürlichsten Geberdung, in athletischen Stellungen, hässlichen und unanständigen, aber von den sogenannten Kunstkennern bewunderten Verkürzungen durcheinanderraset, wie bei Tänzern eines Cancan in Paris? Auch die Schaustellung der entsetzlichsten Martyrien hat von Seiten der Künstler keineswegs den Zweck gehabt, zu rühren und mit tiefer Andacht zu ergreifen, sondern die Bewunderung der Anatomen und Chirurgen zu ärndten durch die Meisterschaft der Naturnachahmung. Als diese Schlächtereien, die nie in den Kirchen hätten Eingang finden sollen, endlich Mode zu werden aufhörten, trat an ihre Stelle eine sentimentale Weichlichkeit, die den Heiligen, sonderlich den jungfräulichen, ein kokettes Schmachten anlog, und in ihre geistigen Entzückungen den Ausdruck der feinsten sinnlichen Wollust mischte.

Alles Unreine und Unruhige im Ausdruck widerspricht der Heiligkeit. Die griechische, wie die ältere römische Kirche hat bei aller hieratischen Steifigkeit der Heiligen

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Wolfgang Menzel: Christliche Symbolik. Erster Theil. G. Joseph Manz, Regensburg 1854, Seite 378. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Christliche_Symbolik_(Menzel)_I_378.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)