Seite:Christliche Symbolik (Menzel) I 380.jpg

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Huldigung noch früher vergönnt in der Person der Elisabeth. Denn die Messiasidee, die durch das ganze alte Testament hindurchgeht, war gleich dem noch ungebornen Christo, und in ihr huldigte das Judenthum dem künftigen Christenthum. Dieses Verhältniss nun findet seinen Ausdruck darin, dass Elisabeth in dem gesegneten Leibe ihrer jungen Freundin den Messias erkennt, und dass sie die erste unter allen Sterblichen ist, die ihn anbetet, ehe denn er noch an's Licht der Welt getreten ist.

Elisabeth erkannte, dass Mariens Schooss den Heiland der Welt in sich schloss, und sympathetisch hüpfte ihr eignes Kind im Leibe vor Freude auf (oder kniete nach spätern Legenden im Mutterleibe nieder und betete das fremde Kind an). Elisabeth sprach zu der demüthig Zagenden: „Gebenedeit bist du unter den Weibern und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes. Selig bist du, die du geglaubt hast!“ Maria aber ging vom Kummer plötzlich in Freude über, und ihre Demuth erhob sich zu seligem Stolze: „Von nun an werden mich selig preisen alle Kindeskinder, denn der Herr hat grosse Dinge an mir gethan.“ Ihrem Geiste werden plötzlich alle die alten Verheissungen klar, die Gott den Kindern Abrahams gegeben, und sie glänzt im Nimbus himmlischer Offenbarung. Die fromme Magd erscheint erhoben in die königliche Glorie des Stammes David, und schon liegt in dieser Entzückung die Ahnung der Himmelskönigin.

Die Kirche hat im Magnificat diesen herrlichen Lobgesang der Jungfrau zu dem Rang in der Kirchenmusik erhoben, der ihm gebührt.

Nur aus dieser mystischen Beziehung der beiden Testamente aufeinander durch die Messiasidee erklärt sich auch alles sonst Räthselhafte in dem Charakter des Täufers Johannes, worauf wir später zurückkommen. Elisabeth ist aufzufassen als der uralte fromme Glaube im Judenthum, ihr Mann Zacharias als das dem Glauben abgestorbene Siechthum des Volkes. Beide sind schon hochbetagt, wodurch das Alter des Volkes überhaupt ausgedrückt werden soll. Sie haben keine

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Wolfgang Menzel: Christliche Symbolik. Erster Theil. G. Joseph Manz, Regensburg 1854, Seite 380. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Christliche_Symbolik_(Menzel)_I_380.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)