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herbeizukommen zum Abendmahl des grossen Gottes. Auf dem Bild hinter dem Altar des Ulmer Münsters ist ein Weltgericht dargestellt, auf dem wirklich die nackten Seligen vergnügt in eine grosse Sonne hineinspazieren.

Die Unmöglichkeit, Himmlisches mit dem Maass des Irdischen zu messen, führte im Verlauf des Mittelalters die christlichen Dichter und Maler zu Vorstellungen, die sich nicht mehr auf das Räumliche bezogen, sondern mehr das innere Wesen der Seligkeit charakterisiren sollten. So wurde in der Vision des Bischofs Salvinus (Surius zum 10. September) nur das gleichförmige Licht, die Ruhe, die tiefe Harmonie des Daseyns, der süsse Wohlgeruch und die Schönheit der Engel als das Charakteristische des Himmels hervorgehoben. Auch in dem Gedicht des grossen Dante ist dem Himmel vor Allem Licht, Luftigkeit, leichtestes Schweben und Berühren eigen. Die Bewegung ist geisterhaft. Nur Beatricens Blick allein zieht Dante in höhere Regionen empor. Alles, was Figur annimmt, ist nur symbolisch. Vom alten Paradiese ist nur der zarteste Hauch und Blüthenstaub noch übrig, alle Blätter, alle gröberen Formen verschwinden. Eben so schmelzen hier die Juwelen an den festen Mauern des himmlischen Jerusalems und werden alle Contoure des Tempels flüssig und ätherisch. Mit weniger Aufwand von Kunst, aber in der edelsten Naivetät füllten die altitalienischen Maler den Himmel mit schönen und glücklichen Menschen an. Durch ein seliges Lächeln liess sich mehr ausdrücken, als durch eine grosse paradiesische Landschaft oder durch einen Wunderbau. Fiesole malte nur spazierende Paare auf einer grünen Wiese, aber mit so friedseligen und verzückten Mienen, dass man gern vom Himmel nicht mehr verlangen möchte. Der Frieden ist auch immer das vorzugsweise Ersehnte gewesen, was man im Himmel suchte. Sonderlich in Klöstern und später in den Sekten der Herrnhuter, Quäker, Mennoniten versuchte man eine Nachahmung des himmlischen Friedens schon auf Erden.

Durch die geistige Auffassung des Himmels unterscheiden sich die Christen von den Juden und Muhamedanern. Die

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Wolfgang Menzel: Christliche Symbolik. Erster Theil. G. Joseph Manz, Regensburg 1854, Seite 398. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Christliche_Symbolik_(Menzel)_I_398.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)