Seite:Christliche Symbolik (Menzel) I 485.jpg

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Erinnerung an das Grab oder an ein irdisches Haus verschwinden, und es blieben nur die Pfeiler übrig und dazwischen breite buntgemalte Fenster, durch die ein überirdisches Licht, wie aus den Juwelen des neuen Jerusalem herabstrahlte. Dem entsprach endlich auch überall die Ornamentik im Kleinen. Kein Stein am gothischen Bau, dem nicht die alten Meister Symbolik eingehaucht hätten. Ueberall begegnen wir in den durchbrochenen Thürmen der Kreuzrose (gleich dem göttlichen Nimbus das Kreuz im Kreise, Sinnbild der Herrschaft Gottes auf Erden), oder dem Kleeblatt (Sinnbild der Dreieinigkeit), der einfachen Rose (Sinnbild der heiligen Jungfrau), dem Kreuze, Sterne, Herzen etc., einfach in der Architektur und ganz abgesehen von den statuarischen Bildwerken. Von den Seiten der Thürme steigen symbolisch Flammen auf; auf der höchsten Spitze aber prangt das Rosenkreuz, ein Kreuz, dessen Arme in Rosen aufblühen, und auf Frauenkirchen der sogenannte Frauenschuh, gleichsam der Abdruck von Mariens Fuss bei ihrer Himmelfahrt.

War auf solche Weise die Kirche aus einem heiligen Grabe auf Erden allmählig zu einem aus dem Himmel entlehnten Hause Gottes geworden, so wurde sie im 16ten Jahrhundert in’s gemeine Irdische herabgezogen und den weltlichen Pallästen ähnlich. Unter Papst Leo X. wandte sich der neurömische Baustyl auf's Entschiedenste von der frommen deutschen Weise ab und brach die antik heidnische Form wieder hervor, so zwar, dass sich die christlichen Kirchen sogar die Thierschädel, Schlangeneier etc. der heidnischen Altäre als architektonische Verzierungen mussten gefallen lassen. Der Spitzbogen wich wieder dem Rundbogen, der Pfeiler wieder der antiken Säule, die Wände stellten sich in voller Breite her; an die Stelle der echtchristlichen Symbole, wie sie den ganzen gothischen Bau erfüllt hatten, kam eine todte Pracht von Marmor, Gold und Silber, wie in den weltlichen Königspallästen, denen die Kirchen immer ähnlicher wurden. Auf protestantischer Seite ahmte man diesen neurömischen oder Jesuitenstyl nach, wie sehr man auch

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Wolfgang Menzel: Christliche Symbolik. Erster Theil. G. Joseph Manz, Regensburg 1854, Seite 485. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Christliche_Symbolik_(Menzel)_I_485.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)