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Johann Christian August Clarus: Die Zurechnungsfähigkeit des Mörders Johann Christian Woyzeck [1821].
In: Georg Büchner, Sämtliche Werke und Briefe (Hamburger Ausgabe), Hrsg. von Werner R. Lehmann, 1. Band: Dichtungen und Übersetzungen mit Dokumentationen zur Stoffgeschichte, Hamburg 1967.

Begutachtung nicht zu berücksichtigen, und dieserhalb weitere Bestätigung abzuwarten sey;

2) die über die gegenwärtige körperliche und geistige Verfaßung des Inquisiten angestellten Beobachtungen kein Merkmal an die Hand gäben, welches auf das Daseyn eines kranken, die freie Selbstbestimmung und die Zurechnungsfähigkeit aufhebenden Seelenzustandes zu schließen berechtige.

Da die in Bezug auf den ersten Punkt abgehörten Zeugen versicherten, daß Woyzeck zwar oft betrunken, außerdem aber nie in einem gedankenlosen Zustande gewesen sey, so wurde dem Inquisiten sowohl im ersten (den 11. Oktober 1821) als auch nachdem er mit einer nochmaligen Vertheidigung gehört worden war (den 3. December 1821), im zweiten Urtheil (den 29. Februar 1822) die Strafe durchs Schwerdt zuerkannt, und derselbe mit seiner zweimaligen Berufung auf landesh. Begnadigung und mit der Bitte, die Todesstrafe in Zuchthausstrafe zu verwandeln (den 29. April und den 3. September), abgewiesen (den 26. August und den 19. Sept.)

Noch vor dem Eintreffen der letzten Entscheidung hatte der Inquisit einem ihn besuchenden Geistlichen eröffnet, daß es ihm mehrere Jahre vor vollbrachtem Morde gewesen sey, als ob er fremde Stimmen um sich höre, ohne Jemand wahrzunehmen, von dem diese Stimmen hätten herrühren können, ingleichen daß er einstmals eine Geistererscheinung gehabt habe.

Dieser neue Umstand veranlaßte den ersten Vertheidiger des Inquisiten unterm 27. September auf eine nochmalige Untersuchung seines Gemüthszustandes durch den, als Verfasser des Werkes über die Seelenstörungen (Leipzig 1818), berühmten Herrn Dr. und Professor Heinroth allhier anzutragen (den 27. September).

Ob nun gleich von der Kriminalbehörde unterm 10. October, ohne in die Berufung des Vertheidigers auf die Untersuchung durch einen andern Arzt einzugehen, dem Verfasser der gegenwärtigen Schrift der Auftrag ertheilt wurde, den Inquisiten Woyzeck, wegen der demselben angeblich zugestoßnen Erscheinungen und Begegnisse, in Ansehung seines Gemüthszustandes, nochmals zu untersuchen; so hielt derselbe sich dennoch in seinem Gewissen verbunden, der Behörde, unter dankbarer Anerkennung des ihm durch diesen Auftrag erwiesenen ehrenvollen Zutrauens, zu erkennen zu geben, daß ihm, rücksichtlich der hohen Verantwortlichkeit, welche auf diesem Geschäfte lasten, die Mitwirkung eines zweiten Arztes, und namentlich des Herrn Dr. und Prof. Heinroth wenn selbige den bestehenden Formen und Einrichtungen für angemessen erachtet werden sollte, nicht anders als erwünscht seyn könne, und daß er sich hierbei blos, im Fall einer Meinungsverschiedenheit, eine Berufung auf die Entscheidung der medizinischen Facultät vorbehalte (den 15. Oktober).

Empfohlene Zitierweise:
Johann Christian August Clarus: Die Zurechnungsfähigkeit des Mörders Johann Christian Woyzeck [1821]. In: Georg Büchner, Sämtliche Werke und Briefe (Hamburger Ausgabe), Hrsg. von Werner R. Lehmann, 1. Band: Dichtungen und Übersetzungen mit Dokumentationen zur Stoffgeschichte. Hamburg: Wegner, 1967, Seite 492. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Clarus-Gutachten_492.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)