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Johann Christian August Clarus: Die Zurechnungsfähigkeit des Mörders Johann Christian Woyzeck [1821].
In: Georg Büchner, Sämtliche Werke und Briefe (Hamburger Ausgabe), Hrsg. von Werner R. Lehmann, 1. Band: Dichtungen und Übersetzungen mit Dokumentationen zur Stoffgeschichte, Hamburg 1967.

die ich um deßwillen zusammen fassen und vorausschicken zu müssen geglaubt habe, weil sie wesentlich dazu beitragen, den Gesichtspunkt festzusetzen, von dem die Beurtheilung der ganzen Sache ausgehen muß: wende ich mich zu dem Theile meiner Untersuchung, der sich zunächst auf den besondern Gemüthszustand, in dem sich der Inquisit zu verschiedenen Zeiten seines Lebens befunden hat, und auf die Erscheinungen und andern Begegnisse, die er gehabt zu haben vorgibt, beziehet.

Es ist hierbei zu bemerken, daß der Inquisit schon bei seinen frühern Unterredungen mit mir angegeben hat, wie er schon seit seinem 30sten Jahre manchmal sehr ärgerlich und desperat gewesen, und öfters, wenn er über irgend einer Arbeit lange nachgedacht, in einen Zustand gerathen sey, in dem er gar nichts mehr gedacht habe. Da die, auf meinen Antrag, hierüber abgehörten Zeugen, auf die sich Woyzeck berufen hatte, diese Angaben nicht bestätigten, so ist von mir ausdrücklich erinnert worden, »daß diese Umstände bei der gegenwärtigen Begutachtung dieses Falles um deßwillen nicht zu berücksichtigen seyen, weil sie blos auf dem Zeugnisse des Inquisiten beruheten, und daß dieserhalb die weitere Bestätigung abzuwarten sey«. Zu gleicher Zeit ist bei gedachter Untersuchung bemerkt worden, daß der Inquisit gemeiniglich während der ersten Minuten der Unterredung am ganzen Körper gezittert habe, daß er den Kopf stille zu halten nicht vermögend und sein Puls und Herzschlag in diesem Zustande sehr beschleunigt und verstärkt, ingleichen daß er seiner eignen Angabe nach etwas vollblütig und mit Nasenbluten behaftet gewesen sey. Da nun alle diese Zufälle sehr oft von Unordnungen und Störungen des Blutlaufs herrühren, da sich einige derselben, dem obigen zufolge, jetzt in etwas verstärktem Grade zeigen, und da es bekannt ist, daß Visionen, wie sie der Inquisit gehabt zu haben vorgibt, sehr oft mit dergleichen Störungen des Blutlaufs zusammen hängen, so schien es mir nothwendig an jene schon früher beobachteten Thatsachen die gegenwärtige Untersuchung anzuknüpfen. Aus den hierüber an ihn gerichteten Fragen ergab sich Folgendes:

Er sey allerdings in seinen frühern Jahren, besonders unmittelbar vor und nach dem 30sten, etwas vollblütig gewesen und habe dabei zuweilen eine Spannung und Auftretung der Adern und ein Stechen im Kopfe gefühlt. Dieser Zustand sey öfters durch Nasenbluten erleichtert worden. Unter andern habe er einmal in Stockholm eine ganze Stunde lang aus der Nase geblutet, worauf ihm so leicht geworden, daß es ihm, als er auf der Straße gegangen, gewesen sey, als ob er kaum die Erde berühre. Vor ungefähr sechs Jahren habe sich manchmal dazu ein Gefühl von schmerzhafter Zusammenziehung in der Gegend des Herzens, oder als ob das Herz mit einer Nadel berührt werde, und ein krampfhafter Schmerz in den Gliedern nach der Richtung der Blutgefäße gesellt, auf

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Johann Christian August Clarus: Die Zurechnungsfähigkeit des Mörders Johann Christian Woyzeck [1821]. In: Georg Büchner, Sämtliche Werke und Briefe (Hamburger Ausgabe), Hrsg. von Werner R. Lehmann, 1. Band: Dichtungen und Übersetzungen mit Dokumentationen zur Stoffgeschichte. Hamburg: Wegner, 1967, Seite 507. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Clarus-Gutachten_507.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)