Seite:Clavigo. Ein Trauerspiel (Goethe) 1774 - 045.jpg

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Sophie. Ich war außer mir, als er herein trat; denn ach! liebt ich ihn nicht, wie du, mit der vollsten, reinsten, schwesterlichsten Liebe? Hat mich nicht seine Entfernung gekränkt, gemartert? – Und nun, den Rückkehrenden, den Reuigen zu meinen Füssen. – Schwester! es ist so was Bezauberndes in seinem Anblick, in dem Ton seiner Stimme. Er –

Marie. Nimmer, nimmermehr!

Sophie. Er ist noch der Alte, noch eben das gute, sanfte, fühlbare Herz, noch eben die Heftigkeit der Leidenschaft, noch eben die Begier, geliebt zu werden, und das ängstliche marternde Gefühl, wenn ihm Neigung versagt wird. Alles! alles! und von dir spricht er, Marie! wie in jenen glücklichen Tagen der feurigsten Leidenschaft, es ist, als wenn dein guter Geist diesen Zwischenraum von Untreu und Entfernung selbst veranlaßt habe, um das einförmige, schleppende einer langen Bekanntschaft zu unterbrechen und dem Gefühl eine neue Lebhaftigkeit zu geben.

Marie. Du redst ihm das Wort?

Sophie. Nein, Schwester, auch versprach ich’s ihm nicht. Nur, meine Beste, seh ich die Sachen, wie sie sind. Du und der Bruder

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Johann Wolfgang von Goethe: Clavigo. Ein Trauerspiel. Weygandsche Buchhandlung, Leipzig 1774, Seite 45. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Clavigo._Ein_Trauerspiel_(Goethe)_1774_-_045.jpg&oldid=- (Version vom 5.1.2019)