Seite:Clavigo. Ein Trauerspiel (Goethe) 1774 - 067.jpg

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Carlos. Wärst du nie gestiegen, um nie zu fallen! Mit welchen Augen werden sie das ansehn! Da ist der Bruder, werden sie sagen! das muß ein braver Kerl seyn, der hat ihn in’s Bockshorn gejagt, er hat sich nicht getraut, ihm die Spitze zu bieten. Ha! werden unsre schwadronierende Hofjunkers sagen, man sieht immer, daß er kein Cavalier ist; Pah! ruft einer, und rückt den Hut in die Augen, der Franzos hätte mir kommen sollen, und patscht sich auf den Bauch; ein Kerl, der vielleicht nicht werth wäre, dein Reitknecht zu seyn.

Clavigo. (der in dem Ausbruch der heftigsten Beängstigung, mit einem Strohm von Thränen, dem Carlos um den Hals fällt) Rette mich! Freund! mein Bester, rette mich! Rette mich von dem gedoppelten Meineid, von der unübersehlichen Schande, von mir selbst, ich vergehe!

Carlos. Armer! Elender! Ich hofte, diese jugendlichen Rasereyen, diese stürmenden Thränen, diese versinkende Wehmuth sollte vorüber seyn, ich hoffte, dich als Mann nicht mehr erschüttert, nicht mehr in dem beklemmenden Jammer zu sehen, den du ehemals so oft in meinen Busen ausgeweint hast. Ermanne dich, Clavigo, ermanne dich!

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Johann Wolfgang von Goethe: Clavigo. Ein Trauerspiel. Weygandsche Buchhandlung, Leipzig 1774, Seite 67. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Clavigo._Ein_Trauerspiel_(Goethe)_1774_-_067.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)