Seite:Clavigo. Ein Trauerspiel (Goethe) 1774 - 077.jpg

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Marie. (auf die Brust deutend) Es drückt mich hier so. – Es sticht mich so. – Es wird mich umbringen.

Sophie. Schone dich.

Marie. Ich bin ein närrisches unglückliches Mädchen. Schmerz und Freude haben mit all ihrer Gewalt mein armes Leben untergraben. Ich sage dir, es ist nur halbe Freude, daß ich ihn wieder habe. Ich werde das Glück wenig geniessen; vielleicht nicht, das mich in seinen Armen erwartet.

Sophie. Schwester, meine liebe Einzige! Du nagst mit solchen Grillen an dir selber.

Marie. Warum soll ich mich betrügen?

Sophie. Du bist jung und glücklich und kannst alles hoffen.

Marie. Hoffnung! O der süsse einzige Balsam des Lebens bezaubert oft meine Seele. Muthige jugendliche Träume schweben vor mir, und begleiten die geliebte Gestalt des Unvergleichlichen, der nun wieder der Meine wird. O Sophie, wie reizend ist er! Seit ich ihn nicht sah, hat er – ich weis nicht, wie ichs ausdrücken soll – es haben sich alle große Eigenschaften, die ehemals in seiner Bescheidenheit

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Johann Wolfgang von Goethe: Clavigo. Ein Trauerspiel. Weygandsche Buchhandlung, Leipzig 1774, Seite 77. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Clavigo._Ein_Trauerspiel_(Goethe)_1774_-_077.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)