Seite:Correspondenzblatt der Diaconissen von Neuendettelsau Bd02 1859.pdf/13

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Wilhelm Löhe: Vom Schmuck der heiligen Orte, Dictat aus den Jahren 1857/58, abgedruckt im „Correspondenzblatt der Diaconissen von Neuendettelsau“ 1859/60

Vom Schmuck der heiligen Orte.
(Fortsetzung.)
§. 5.

 Die Kirche hat 3 Teile: den Vorplatz innerhalb ihrer Mauern, das Schiff und das Presbyterium oder den Chor. Im ersten Teile links vom Eingang, auf der mitternächtlichen Seite, ist die liturgische Stellung des Taufsteins, weil die Taufe des Christen Eingang ist in die Kirche Gottes. Im Schiff der Kirche versammelt sich die Gemeinde, und im Schiff oder da, wo Chor und Schiff sich scheiden, steht die Kanzel, von der herunter der Seelsorger die bereits gewordene Gemeinde der Heiligen mit dem Worte Gottes speist. Im Chor steht der Altar, zweifelsfrei am richtigsten Ort in der ganzen Kirche, und um den Altar her sind die Sitze der Diener des göttlichen Wortes. Es ist eine liturgische Sünde, die Kanzel in den Chor und über den Altar zu stellen; sie sollte aller Orten ausgerottet werden. Wenn eine Kirche außer der Orgelbühne noch Emporen haben muß, so ist es nach dem Urteil der Alten schicklicher, wenn auf den Emporen die Frauen, als wenn die Männer daselbst ihren Sitz haben. Eben deshalb hatten aber auch die alten Emporen Vorhänge, die zum Kirchenschmuck gehörten.

§. 6.

 In der alten Zeit hatte man die Taufsteine zum Teil innerhalb der Kirchen, zum Teil aber gab es eigene Baptisterien. Diese Baptisterien waren rund gebaut und aus ihnen entwickelte sich der runde oder Kuppelbaustyl, wie er sich besonders im Morgenlande ausbildete, während sich im Abendlande mehr der oblonge, der Kreuzbaustyl verbreitet hat. Wo nun der Taufstein in einem eigenen Gebäude steht, also nicht im besondern Zusammenhang mit einem Altare, versteht es sich von selbst, daß dasjenige, was wir vom Schmuck des Taufsteins zu sagen haben werden, nicht angewendet werden kann.

 Der Altar steht in den Kirchen, namentlich des Abendlandes, immer im östlichsten Teile der Kirche, während er in der Stiftshütte und im Tempel nach Westen stand, oder wenigstens an seiner Stelle dasjenige, was ihn vertritt, nemlich das Allerheiligste. Das Abendland schaut immer nach Osten, dem auf Golgatha gekreuzigten, nach der Tradition westwärts schauenden Christus ins Angesicht. Ob der Pfarrer vor oder hinter dem Altare steht oder sitzt, das ist völlig gleichgiltig. Der Thron des Bischofs stand in der ältesten Zeit gern hinter dem Altar, so daß zwar die ganze Gemeinde nach Osten, der Bischof aber als Bote dessen, welcher ist der Aufgang aus der Höhe, und als sein Repräsentant nach Westen sah. Auf den Schmuck des Altars hat diese Stellung allerdings einen Einfluß, wie sich das zeigen wird, denn je nachdem die eine oder die andere Stellung gewählt wird, je nachdem steht der Altar entweder frei, oder er kann an der östlichen Mauer des Chors stehen, oder selbst eine Rückwand haben.

§. 7.

 Es ist eine sehr verbreitete Ansicht, daß die ersten Christen immer nur sehr schmucklose Kirchen-Locale und wertlose hl. Gefäße gehabt hätten; aber vernünftig ist diese Ansicht nicht. Die ersten Christen lebten im Ueberschwang des hl. Geistes und werden deshalb ohne Zweifel ein tiefes Gefühl für alles schickliche und schöne gehabt haben, jede natürliche Beziehung zu dem Herrn und seinem Heiligtum wird sich bei ihnen mehr als bei uns Geltung verschafft haben. Nun erscheint es gewis der neuen Creatur oder Natur des Menschen ungeziemend, z. B. das gesegnete Brot auf einen unreinen Tisch niederzulegen oder an einen Ort, der sonst zu ganz anderen, geringen Dingen dieses Lebens dient. Dagegen aber ist es für die neue Natur des Christen recht natürlich, die heiligsten Gegenstände, welche es auf Erden geben kann, auch durch den Ort und das Geräthe zu ehren. Gewis haben die ältesten Christen dies Gefühl am stärksten gehabt, und daraus entsprang ihnen der Sinn für alle hl. Zier und allen Schmuck der Kirche, sonderlich aber des Altars. Das finden wir auch durch die Geschichte bezeugt bis zurück in das graue Altertum. Der Christen Sinn für das schöne und schickliche im Hause Gottes machte sich immer geltend, wo es möglich war und nicht z. B. durch Verfolgung gehindert wurde. Es geschah das um so mehr, als ja das Christentum mit Ehrerbietung auf den alttestamentlichen Cultus zurücksah, welcher deshalb, daß er der Schatten war dessen, das kommen sollte, nicht das Gegenteil, sondern ein Abriß gewesen sein muß von dem, das kommen sollte, so daß also der Christ sich vielmehr gedrungen fühlen muste, das schöne darin nachzuahmen, als es zu vernachläßigen und zu übersehen.

§. 8.

 Was zuerst den Altar anlangt, so bediente man sich in der ersten Zeit eines einfachen hölzernen, dann mehr und mehr eines steinernen Tisches. Im Verlauf der Zeit verlor der Altar die Gestalt des Tisches je länger je mehr. Die Christen hatten so gerne das Sakrament über den Gräbern gehalten, daß sie späterhin nach dem Grundsatz verfuhren: Das Grab ein Altar, jeder Altar ein Grab. Man begrub die Gebeine der Märtyrer und anderer hl. Personen in oder unter den Altären und dachte dabei an jene wunderbare Stelle der hl. Schrift (Offenb. 6, 9.), da die Seelen der abgeschiedenen Blutzeugen Jesu als unter dem himmlischen Altare befindlich dargestellt werden. Der Altar selbst bekam in der Folge der Zeit einen Ueberbau; auf 4 Säulen hob sich ein Dach, von welchem herunter gerne das Bild einer Taube hieng, die innen hohl war und in welcher man die Brote zum Sakrament aufbewahrte. Die Flügel der Taube konnten gehoben werden, um die Brote herauszunehmen. Zwischen den Säulen hiengen kostbare Vorhänge, und was wir jetzt auf den Altar stellen – Crucifix, Blumen, Leuchter und Lichter, das stand damals auf dem Dache. Der Ort des Sakraments war verhüllt, weil kein Katechumen und kein Heide an den hl. Geheimnissen

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Vom Schmuck der heiligen Orte, Dictat aus den Jahren 1857/58, abgedruckt im „Correspondenzblatt der Diaconissen von Neuendettelsau“ 1859/60. Druck in Commission der C. H. Beck’schen Buchhandlung, Nördlingen 1859, 1960, Seite 11. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Correspondenzblatt_der_Diaconissen_von_Neuendettelsau_Bd02_1859.pdf/13&oldid=- (Version vom 28.8.2016)